Dass Han Kang letztes Jahr den Literaturnobelpreis gewonnen hat, ist nicht an mir vorbeigegangen. Aber ich hatte bisher keine Bücher von ihr gelesen. Als Unmöglicher Abschied letztes Jahr dann im NetGalley-Adventskalender auftauchte, freute ich mich darüber sehr und wollte es gerne lesen. Und das nicht nur, weil Han Kang Nobelpreisträgerin ist: ich mag Bücher sehr gerne, in denen vergangene Ereignisse aus heutiger Perspektive aufgegriffen und aufgearbeitet werden.
Mit Unmöglicher Abschied geht Han Kang auf das Jeju-Massaker ein. Zwischen April 1948 und Mai 1949 wurden als Reaktion auf Streiks und Proteste insgesamt rund 30.000 Bewohner*innen der Jeju-Insel auf brutale Art getötet, darunter auch Kinder. Danach war es gut 50 Jahre lang unter Androhung von Folter und hohen Haftstrafen verboten, über das Massaker auch nur zu sprechen. Erst 2003 kam es zu einer ersten offiziellen Untersuchung des Massakers sowie einer Entschuldigung durch den damaligen koreanischen Präsidenten Roh Moo-hyun.
(Quelle für die Informationen in diesem Absatz: Wikipedia)
Und während Han Kang zwar einige Gräueltaten der Täter*innen beschreibt, geht es doch vor allem um das Leid der Überlebenden, die nicht wussten, lange nicht wissen durften, was mit ihren Familienangehörigen und Freund*innen geschah. Es geht um den langen Kampf für die Anerkennung und Aufarbeitung einer staatlichen Handlung, die 2003 als Genozid bezeichnet wurde. Und es geht um das transgenerationale Trauma, das aus dem Jeju-Massaker entstand.
Das sind Aspekte des Buches, die sehr einfühlsam beschrieben waren und mich sehr mitnahmen. Man merkte in den Rückblicken, wie auch ein Mensch, der selbst noch gar nicht geboren war zur Zeit des Jeju-Massakers, die Auswirkungen dessen zu spüren bekommt. Auch wie unterschiedlich Menschen auf derartige Traumata reagieren – den Verlust der eigenen Familie, Folter und den Anblick tausender toter Menschen – war in meinen Augen gut dargestellt.
Für das Buch gibt es von mir dennoch „nur“ drei Sterne, weil ich mit dem Schreibstil Han Kangs und dem Aufbau des Buches meine Probleme hatte. Die Erzählung springt ständig zwischen unterschiedlichen Perspektiven, die sich teilweise Inseon oder Gyeongha zuordnen lassen. Teilweise war ich mir bis zum Ende unschlüssig, aus wessen Sicht manche Teile des Buches erzählt sind. Es lässt sich schnell nicht mehr unterscheiden, was die Realität von Gyeongha ist und was Halluzinationen sind. Damit konnte mich die Autorin nicht abholen.
Auf der einen Seite steht bei diesem Buch also die Erinnerung an ein furchtbares Gräuel, das von staatlicher Seite verübt wurde und unbedingt in Erinnerung bleiben muss. Auf der anderen Seite machten es mir Schreibstil und die ständigen Perspektivwechsel schwer, Unmöglicher Abschied zu lesen.