Der zwölfjährige Vadim lebt ihn Gefahr, nicht nur wegen seinem Asthma. wird Er reist in Begleitung einer Ordensschwester von Paris an einen Ort in den Bergen nahe der Schweizergrenze. Es ist Winter 1943. Vadims Vater hat jüdische Angehörige, seine Mutter ist Französin. Der Vater ist vor einer Weile untergetaucht, sie wissen nicht wo er ist. Die Mutter fürchtet um ihn, auch wegen seinem Asthma. “Es ist zu gefährlich.” So muss er weg und er wird zu Vincent. In den Bergen wird er abgeholt und ist von da an in einer ganz anderen Welt. Alles ist in Schnee getaucht. Er staunt und kann sich kaum lösen vom Anblick, der sich ihm bietet. Die Berge, der Schnee. Die Menschen und ihr Leben. Es ist leise. Immer wieder sieht er Neues. Kühe, Ziegen, Schafe, Gebrauchsgegenstände, neue Gerüche, neue Geräusche. Er kann auch wieder Atmen, das Asthma ist weg.
Wir gehen mit ihm durch den Winter, den Frühling, den Sommer mit allem, was er zum ersten Mal erlebt, sieht, riecht, fühlt, hört. Der Charakter von Vincent eröffnet sich einem gleichermassen wie das Erleben, die Umgebung, die Fürsorge seiner Pflegefamilie, die Verbundenheit mit Moinette, seiner jüngeren “Mentorrin”, die ihm alles zeigt und die ihn ganz offensichtlich fest in ihr Herz schliesst. Begegnungen mit dem blinden Martin, dessen Hund und wie er durch Martins “Augen” selber mit anderen Augen sehen kann. Immer wieder schwingt leise die Kriegssituation mit. Mit den Jahreszeiten verändert sich auch Vincent, nicht nur körperlich. Auch der Krieg geht weiter, nimmt seinen Lauf. Wie geht es mit Vincent/Vadim weiter?
Man fühlt sich mit Vincent in einer geschützten Umgebung, eingehüllt von der unglaublichen Natur, die an diesem Ort alles abzuschirmen scheint. Der Schreibstil von Valentine Goby hat eine grosse Ausdruckskraft - so leise wie ruhig und klar. Man taucht ein in die Natur und in das sanfte Wesen von Vadim. Die Tragik der Geschichte geht nicht unter, sie übermann aber weder Vadim noch die Leser:innen. Ich mochte mich nicht mehr lösen von diesem Buch, bis es ausgelesen war. Gerade die Ruhe in der Erzählung habe ich sehr genossen.
Am Anfang wagt er gar nicht, sie als Blumen zu bezeichnen, weil sie so winzig sind. So fein wie die Pinsel der Miniaturisten in Montmartre, die Paris auf Leinwände bannen, die nicht grösser sind als ein Taschenspiegel. Helllilafarbene weisse Tupfen: die ersten Krokusse. Und kümmerliche goldgelbe Kügelchen, die er mit der Kuppe des Zeigefingers zu öffnen versucht. “Noch nie Himmelsschlüssel gesehen?” Die kleinen, sonnenförmigen Blüten des Huflattichs. “Noch nie Huflattich gesehen?” Er trödelt beim Steinesammeln. Nein, er hat noch nie Krokusse, Himmelsschlüssel oder Huflattich gesehen.