Für mich ist sie eindeutig eine Autorin, deren Schreibstil man entweder liebt oder gar nicht mag. Bei Letzterem frage ich mich, warum man überhaupt zu einem ihrer Bücher greift – schliesslich ist sie dafür bekannt, ohne Anführungszeichen zu schreiben, und dass in ihren Geschichten auf den ersten Blick nicht viel passiert. Das Fehlen der Anführungszeichen erfordert eine gewisse Konzentration beim Lesen, daher ist es wichtig, zu diesem Buch zu greifen, wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen und aufmerksam zu lesen.
Für mich passiert in dieser Geschichte durchaus genug. Niemand sonst schafft es wie Sally, den Protagonisten Leben einzuhauchen und sie derart realistisch darzustellen. Ich konnte die Figuren vor mir sehen – ihre Leiden, Überlegungen, fragwürdigen Handlungen, ihre Entscheidungen und ihren Schmerz. Im Kern geht es hier um Trauer, wie sie sich in unterschiedlichen Facetten zeigt, und wie jeder Mensch einen individuellen Weg findet, damit umzugehen. Die Schreibweise empfinde ich als grosse Kunst, und an dieser Stelle möchte ich auch der Übersetzerin meinen Respekt zollen, da ihre Arbeit sicher keine leichte Aufgabe war. Die Geschichte hat mich tief berührt, und auch wenn mir persönlich die Zahl der detailliert beschriebenen intimen Szenen etwas zu hoch war, waren sie nie plump wie in vielen New-Adult-Büchern. Stattdessen sind sie ein natürlicher Teil der Geschichte und der Emotionen, die sie vermittelt. Am Ende fragt man sich, wie kritisch man selbst mit gesellschaftlichen Normen umgeht und was diese überhaupt ausmacht.
In vielen Momenten fühlte ich mich Ivan besonders nahe. Seine Gedanken unterscheiden sich in der Erzählweise von denen Peters, was die Unterschiede in ihren Perspektiven wunderbar betont. Es zeigt, wie wir das, was wir sehen, kritisieren, während vieles im Verborgenen bleibt und nicht den gängigen Normen entspricht. Nicht immer ist das Offensichtliche die Wahrheit. Ein spannendes Thema, brillant umgesetzt, und ich hoffe sehr, dass daraus eine TV-Serie entsteht. Da ich so im flow war, habe ich mir gleich noch einmal “Normal People” angesehen – wahre Meisterwerke.