*Achtung mit Spoiler*
In “Die gefallene Stadt” von Emily Dunwood dreht sich alles um die Protagonistin Java, deren Geschichte in einem Folgeband weitergeführt wird. Über sie erfahren wir nur wenig: Java ist Waise, und ein schwerwiegendes Ereignis in ihrer Vergangenheit hat ihre Zukunft zerstört. Sie lebt in Hyalopolis, einer Stadt in der sogenannten “Surface City”, wo das Leben der Menschen streng überwacht und jede Handlung digital aufgezeichnet wird. Diese Aufzeichnungen werden als “Timeline” bezeichnet und sind entscheidend für den sozialen Status und die Zukunft der Bewohner. Je positiver die Timeline, desto vielversprechender die Zukunft der jeweiligen Person – wie das System funktioniert, bleibt jedoch unklar.
Ein interessantes Stilmittel des Buches sind die kurzen Sequenzen nach jedem Kapitel, die mit einem Adjektiv oder Gefühlsnamen eingeleitet werden. Diese Abschnitte gewähren flüchtige Einblicke in die Gedanken und Gefühle einer Figur – vermutlich Java selbst, die womöglich ihr Gedächtnis verloren hat. Diese Vermutung bestätigt sich später im Buch, als sie zum ersten Mal namentlich angesprochen wird. Das Buch lässt den Leser mit vielen offenen Fragen zurück, insbesondere über die Gründe und Umstände, die zu Javas verzweifelter Lage geführt haben. Das Buch spielt gekonnt mit der Ungewissheit und lässt uns immer wieder erahnen, dass hinter der Fassade der Stadt eine komplexere Realität steckt. Dunwood zeichnet eine düstere Zukunftsvision, in der persönliche Freiheit dem sozialen Status untergeordnet ist.
Schon zu Beginn wird deutlich, dass Java in einer prekären Situation steckt: Sie leidet unter Schlaflosigkeit und ist von Aufputschmitteln und Energydrinks abhängig. Zudem verschliesst sie sich und verweigert alle “erzieherischen Massnahmen”, die ihr auferlegt werden. Die Handlung beginnt mit einer Verabredung in der “Deep City” – dem düsteren Gegenstück zur regulierten und digitalisierten Surface City. Die Deep City, wo Kriminalität und Schattenwirtschaft Alltag sind, liegt in den unteren Ebenen, im sogenannten “Abschnitt 0”, und die Ereignisse dort beeinflussen die Timelines der Surface City-Bewohner nicht.
In der Deep City trifft Java auf einen Mann namens Glass, mit dem sie einen mysteriösen Deal abschliessen soll. Interessanterweise war dieser Deal ursprünglich nicht für sie gedacht, sondern für eine andere Frau, die Java verblüffend ähnlich sieht. Java beschliesst, das Doppelleben dieser Frau anzunehmen und den Deal in ihrem Namen zu erfüllen – in der Hoffnung, dadurch eine neue Timeline und damit die Aussicht auf eine bessere Zukunft zu erhalten. Als Leser fand ich es prekär, wie nahtlos Java die andere Identität annimmt, ohne dass irgendjemand die Fassade infrage stellt. Leider erfahren wir im Buch wenig über Java oder die anderen Charaktere, was die gesamte Geschichte äusserst mysteriös erscheinen lässt.