«Lieben» ist das zweite Buch, das ich aus der bei Hanser erscheinenden Essay-Reihe «Leben» lese (das erst war «Altern» von Elke Heidenreich). Fasziniert bin ich nun Emilia Roigs sehr persönlichen Gedanken und Erfahrungen gefolgt. Gut strukturiert und immer wieder auf diverse Autor*innen verweisend betrachtet sie mit uns kritisch unser Verhältnis zur Liebe. Was verstehen wir als Gesellschaft darunter? Auf welche Personen beschränkt sich unser Liebes-Verständnis und auf welche wäre es wichtig, es auszuweiten? Wie stark (und unbewusst) prägen Aufklärung, Kapitalismus, Kolonialismus, das Patriarchat etc. unser Verständnis von Liebe? Was bedeutet das auch für unseren Umgang mit und unsere Fähigkeit der Liebe zu Natur und Tieren?
Zahlreiche Fragen also, bei denen bei mir vor allem die Gedanken zu Familie und Freundschaften nachhallten. Vielleicht auch, weil Franziska Schutzbach in «Revolution der Verbundenheit» ebenfalls dazu aufruft, unseren Freundschaften mehr Bedeutung zuzuschreiben. Ich kann nicht behaupten, dass ich alle historischen/wirtschaftlichen/politischen Zusammenhänge beim ersten Lesen begriffen hätte oder dass ich mit allen Gedanken gleich viel anfangen konnte (bspw. betrachtet sie auch die Bedeutung von Kosmos und Astrologie für ihr Verständnis von Liebe). Aber ich freue mich schon jetzt darauf, den schmalen Band bei anderer Gelegenheit wieder in die Hand zu nehmen, denn ich kann mir gut vorstellen, dass dann andere Aspekte der Lektüre eher hervorstechen. Ausserdem bietet sich der Aufbau des Buches dafür gerade an.
Ein mutiger und inspirierender Essay, über den sich hervorragend mit anderen diskutieren lässt.