Die Idee hinter Vincenzo Todiscos Roman kam mir bereits aus Michela Murgias «Accabadora» bekannt vor: aus einer Dorfgemeinschaft wird jemand ausgewählt, den (zumeist) alten Menschen beim Sterben zu helfen. In Walters Fall ist er sieben Jahre alt, als er zum Geschichtenabnehmer ernannt wird. Fortan wird er zu jeder Tages- und Nachtzeit an die Sterbebetten Grumas gerufen, um den Menschen zuzuhören.
Doch Todiscos allwissender Erzähler berichtet über weite Strecken im Rückblick. Denn Walter hat das Dorf in den Bergen irgendwann verlassen. Warum, beginnen wir erst im Verlauf der Geschichte zu erahnen.
Es ist ein Roman über das Sterben, nicht nur von Menschen, sondern auch von Landstrichen, von Traditionen. Ein Roman, der die teils drastischen Veränderungen der letzten fünfzig Jahre gerade für ländliche Regionen aufzeigt, die besonders unter der Abwanderung der Jungen leiden.
Todisco schreibt in klaren, knappen Sätzen. Verwirrt haben mich dabei gelegentlich die zeitlichen Bezüge. Walter verschwindet wohl Anfang der 90er aus Gruma, kurz zuvor, wird an frührerer Stelle berichtet, taucht jedoch Teo auf und wedelt mit Euroscheinen. Gleichzeitig geht es um das Thema Erinnern und wir alle kennen es vermutlich, wie sich Erinnerungen schonmal verschieben, uns austricksen, sich an der falschen Stelle einnisten.
Ebenfalls diskutieren liesse sich über das offene Ende und über die Frage, ob Todisco mit seinem Roman Kritik üben möchte an unserem Umgang mit alten Menschen oder ob er gegen das Vergessen von Traditionen anschreiben möchte oder ob hier einfach nur jemand Freude am Erzählen märchenhaft anmutender Geschichten hat?
Wer Freude an literarischen Texten hat, sich gerne auch mal durchbeisst und über das Gelesene im Anschluss diskutieren und/oder nachdenken möchte, ist bei «Der Geschichtenabnehmer» an der richtigen Stelle. Mich persönlich hat es von der Erzählweise her nicht gänzlich begeistern können, aber Gruma und seine Bewohner werden mir noch lange in Erinnerung bleiben.