Mit der Legende des Tränenmachers, vor der Nica sich stets gefürchtet hat, steigt der Leser in die Geschichte ein. Ebenso fürchtet Nica sich vor Rigel, der ihr Adoptivbruder werden soll. Spannung ist vorprogrammiert, und in dieser Hinsicht enttäuscht die Geschichte auch nicht.
Mit Nica führt eine schüchterne, teils hiflose, teils bemitleidenswerte, aber vor allem durch und durch menschliche Hauptfigur den Leser durch die Erzählung, die grösstenteils aus der Schilderung ihres neuen Lebens bei ihren zukünftigen Adoptiveltern und aus ihren Erinnerungen an das grausame Waisenhaus, in dem sie ihre Kindheit verbracht hat, besteht. Die Einführung in Nicas Welt und ihre aktuelle Situation zieht sich in die Länge: Während der ersten 200 Seiten fehlen abrupte Wendungen oder aktive Erlebnisse; es scheint eher so, als würde das Leben Nica im Griff haben und nicht umgekehrt. Der Spannungsaufbau, gerade in Bezug auf Rigel, erfolgt so lange, bis die Spannung beinahe wieder verloren geht.
Sobald der Leser einen Blick auf die Welt aus Rigels Perspektive werfen kann, nimmt die Geschichte Fahrt auf, die Beziehung zwischen Rigel und Nica verändert sich, neue Konflikte entstehen. Nicht mehr Hass, sondern Liebe ist Nicas grösstes Problem.
Während der Leser mehr über Nica und ihr Trauma erfährt, tappt er bei Rigel weiterhin im Dunkel. Von dieser Ausgangslage aus kommt eine düstere Liebe zu stande, die allen Gesetzen der Liebe zu trotzen scheint und dennoch voller Tiefe und Schmerz ist. Nach und nach lässt Rigel Nica ein, bis sie erkennen kann, was er mit seiner Grausamkeit zu verbergen sucht.
Über 700 Seiten lang ist die Geschichte, dabei geschieht nicht sehr viel, insbesondere nichts Unerwartetes. Dennoch schafft die Autorin es, eine komplizierte und schmerzhafte Beziehung so zu schildern, dass der Leser zumeist gefesselt bleibt, und tief in die Psyche und Vergangenheit der beiden Hauptfiguren einzudringen, bis man das Gefühl hat, sie persönlich zu kennen. Diese beiden Figuren, Nica und Rigel, die die Geschichte ausmachen, sind so menschlich, unvollkommen und verletzlich gestaltet, wie das Buch selbst es ist. Die Botschaft, dass es selbst für Menschen wie sie ein Happy End geben kann, zieht sich wie ein Hoffnungsschimmer durch die Geschichte.