Wie oft wurde mir der Auftakt zu Leïla Slimanis Familientrilogie schon wärmstens von Kund*innen empfohlen. Nun war es endlich soweit und ich teile die Begeisterung.
Die Autorin entführt uns ins Jahr 1947. Die gerade 20-jährige Elsässerin Mathilde ist ihrem marokkanischen Mann, Amine, der im Zweiten Weltkrieg für Frankreich diente, nach Meknès gefolgt. Das ungleiche Paar zieht schon bald ins Umland, wo Amines Vater ein Stück Land gekauft hatte, das sein ganzer Stolz und dessen Bewirtschaftung sein grösster Traum gewesen wäre. Den möchte Amine nun erfüllen.
Slimani spannt den erzählerischen Bogen über acht Jahre, bis zu den Revolten im Sommer 1955. Dabei pickt sie einzelne Momente heraus, anstatt chronologisch dicht von jedem einzelnen Tag zu berichten. Sie wechselt als allwissende Erzählerin mehrfach die Perspektive, sodass wir uns vor allem in Mathilde und ihre Tochter Aïcha, aber auch in Amine, seine Schwester Selma, seinen Bruder Omar und viele andere hineinversetzen können.
Es sind Zeiten der Entbehrung und des politischen Umbruchs, in denen die junge Familie wächst. Aïcha stellt sich schon früh Fragen zu ihrer Identität. Mathilde muss sich in ihr Leben fügen, das sich so anders gestaltet, als sie sich das in ihrer jugendlichen Naivität ausgemalt hat. Aber sie findet Wege dem Alltag kleine Erfolge abzutrotzen, ist neugierig und wissbegierig.
Leïla Slimani gelingt es, ehrliche Porträts zu entwerfen, die den komplexen Persönlichkeiten ihrer Figuren gerecht werden, die sie in Momenten des Glücks, aber auch vor inneren Abgründen zeigen. Ebenso lässt sie Marokkos Geschichte in jenen Jahren wieder auferstehen. Ihre Sprache in der Übersetzung von Amelie Thoma ist dabei emotional distanziert, die von ihr erschaffenen Bilder zugleich sehr ausdrucksstark.