Der Inhalt des neu aufgelegten Buches «Aus guter Familie» schrieb Gabriele Reuter 1895 von mehr als hundert Jahren. Es braucht zu Beginn etwas Durchhaltevormögen, um sich auf den ungewohnten Schreibstil anzufreunden.
Mit der Konfirmation der 16-jährigen Agathe, der Tochter eines Regierungsrates Heidling, startet das Buch. Agathe wächst behütet in einem grossbürgerlichen Haushalt auf. Der Alltag ist geprägt von gesellschaftlichen konservativen wie kirchlichen Normen, an die Agathe immer wieder aneckt. Der Vater verwehrt ihr Bildung in Form von Büchern und die Mutter ist auf ihre Moral bedacht. Der Leser oder die Leserin begleitet sie nun auf ihrem leidvollen Weg bis in die mittleren 20er Jahre. Agathe möchte die Erwartungen einer braven Tochter erfüllen, aber gleichzeitig träumt sie von Freiheit. Immer wieder kommen Szenen vor, die aufwühlen und nachdenklich stimmen, über die Rollen der Frauen zu dieser Zeit und darüber, dass sich Agathe nicht wehrt und immer stärker in Selbstzweifel, Traurigkeit und Langeweile versinkt.
Der Roman mag zwar alt sein, aber thematisiert doch moderne Fragen wie Machtdynamiken, Geschlechterrollen und gesellschaftliche Zuschreibungen. Zudem ist er ein naturalistisches Zeitdokument aus wilhelminischer Zeit. Ein wirklich lesenswertes Buch!