Der Untertitel “Leidensgeschichte eines Mädchens” beschreibt ziemlich gut, was einen erwartet, wenn man das Buch liest. Gabriele Reuters’ Roman Aus guter Familie ist keine “leichte Lektüre” für zwischendurch. Bis man sich mit dem Schreibstil der Autorin vertraut gemacht hat, ist das Buch nicht ganz leicht zu Lesen. Viele unterschiedliche Charaktere und Zeitsprünge können zu Beginn des Romans irritieren. Je länger man liest, desto klarer wird die Geschichte und schon nach einer Hand voll Kapiteln kann man den Handlungssträngen gut folgen.
Aus guter Familie stammt aus einer Zeit, in denen Mädchen und Frauen kaum Privilegien oder das Recht auf Bildung und Selbstverwirklichung hatten. Die Protagonistin Agathe gehört der besseren Mittelschicht (oder sogar Oberschicht?) an und lebt in einem Korsett aus familiären und gesellschaftlichen Erwartungen. Während sie viel Interesse und Neugierde in sich hat, sind die eingetrichterten Verhaltensregeln und das von ihr erwartete Bild der frommen Ehefrau und Mutter omnipräsent. Schafft es Agathe, aus den gesellschaftlichen Zwängen auszubrechen und ihre eigenen Vorstellungen des Lebens zu finden? Schafft sie es, ihre Wünsche und Träume zu verwirklichen, auch wenn diese nicht immer mit den Vorstellungen der guten Familie in der sie aufwächst übereinstimmen?
Gabriele Reuter gibt mit dem Roman einen Einblick in das Leben der Frau vor 120 Jahren und in eine gespaltene Gesellschaft, welche vor vielen Herausforderungen steht. Die Rolle der Frau, Gleichberechtigung, gesellschaftliche Fragestellungen und die psychische Gesundheit werden im Buch thematisiert und es können eindrückliche Parallelen und Vergleiche zur heutigen Zeit gezogen werden. Insgesamt ein sehr empfehlenswertes Buch - ein Stern Abzug gab es lediglich, weil mir persönlich der Einstieg in das Buch in den ersten paar Kapiteln schwerer fiel, als ich es mir sonst gewohnt bin.