Vorab muss gesagt werden: bei diesem Roman handelt sich um eine neue Auflage von Gabriele Reuters Roman aus dem Jahre 1895. Um das Nachwort zu zitieren: “Orthographie und Zeichensetzung wurden behutsam modernisiert. Der Wortlaut wurde beibehalten, auch bei Begriffen, die heute als diskriminierend gelten.”
Zumindest bei mir hat es daher doch einige Seiten gedauert, bis ich mich mit der Sprache anfreunden konnte. Auch die “langsame” Entwicklung in dem 120 Jahre alten Roman ist gewöhnungsbedürftig. Gegen Ende hin, nimmt die Geschichte allerdings Fahrt auf und hat mich nicht mehr losgelassen.
Die Charaktäre nach heutigen Maßstäben zu beurteilen wäre wohl unfair, allerdings tut die Naivität des Hauptcharakters Agathe manchmal fast körperlich weh. Das Kind wächst in einem wohlbehüteten und gut situierten Hause auf, umgeben von Dienstboten. Alles “schlechte” und unstittliche wird von ihr ferngehalten. Gefangen in den Zwängen der damaligen Gesellschaft beginnt Agathe langsam eigene Gedanken zu fassen, da sie aber selber weiß, dass eine Flucht unmöglich ist - und weil sie sich nicht aus den Konventionen befreien kann, beginnt ihre psychische Gesundheit zunehmend darunter zu leiden. Heute wäre es wohl eine Depression, damals ein “Nervenleiden”.
Auch wenn der Roman sich etwas anspruchsvoller liest, am Ende hat sich die “Mühe” gelohnt. Denn auch wenn die Leidensgeschichte dieses Mädchens schon lange her ist, sie ist dennoch sehr berührend.