Ganz neu rollt Percival Everett die Geschichte von Huckleberry Finn auf. Er setzt als Erzähler und Hauptperson James ein - meistens Jim genannt, den Sklaven. Huck stellt eine weitere wichtige Figur dar, sind die beiden doch befreundet und gemeinsam geht es durch viele “Abenteuer”, u.a. ebenfalls auf dem Mississippi. Bei Everett sind diese Abenteuer allerdings todernst. James ist schwarz und ein Sklave, er hat einen Besitzer, der mit ihm tun und lassen kann, was ihm beliebt.
Es ist schwere Kost, die man da zu sich nimmt. Der Erzählstil ist genial. Die Schilderungen von den Flussfahrten, die Dialoge lockern auf, ohne die Tragik zu kaschieren. In “James” wird die Gewalt nicht nur erahnt, sondern direkt geschildert, brutal und ohne sie auszukosten, was definitiv fehl am Platz wäre. Die Ereignisse sind Erzählungen, spannend, teilweise atemberaubend abenteuerlich und halten einem gleichzeitig die Absurdität der Gegebenheiten vor Augen.
Besonders faszinierend finde ich, was der Autor aus der Sprache herausholt, indem er den Schwarzen ein Idiom in den Mund legt, das diese lernen. James ist gebildet, er kann lesen und schreiben und hat einen ausgesprochen guten, hochstehenden Wortschatz, dem längst nicht jeder Weisse, mit dem er in Kontakt hat, standhalten kann. Der Slang der Schwarzen zeichnet sich durch simple Wörter und eine spezielle Betonung aus. Damit geben sie sich schon den Weissen untergeordnet und schützen sich selbst. James beherrscht den Wechsel perfekt, wie ein Chamäleon kann er sich anpassen. Auf jeden Fall muss ein Weisser sich immer überlegen fühlen. Ein Schwarzer darf nie einen Ratschlag geben, einen guten Vorschlag haben, er muss sich etwas einfallen lassen, damit sein Gegenüber mit der Nase auf die Idee stösst.
Dieses Buch macht etwas mit dem Leser, der Leserin. Dem Sog kann man sich nicht entziehen. Es ist fantastisch zu lesen, macht einen sehr nachdenklich und auch beschämt. Ich darf nicht einmal mehr denken, die Sklaverei ist ein dunkles “Kapitel”, weil ein Kapitel ein viel zu beschönigender Begriff ist für diese abgrundtiefe Schande, die hier so deutlich wird.
Meiner Meinung nach hat Percival Everett einen Preis für dieses Buch verdient.
In diesem Augenblick trat mit (James) die Macht des Lesens deutlich und real vor Augen. Wenn ich die Worte sehen konnte, dann konnte niemand sie oder das, was sie mir gaben, kontrollieren. Man könnte nicht einmal wissen, ob ich sie lediglich sah oder ob ich sie las, sie auslotete oder begriff. Es war eine vollkommen private Angelegenheit, vollkommen frei und daher vollkommen subversiv.
James: “Das’s der Ohio, Huck. Der erzähl dem Mississippi vonner Freiheit. Ich besorg mir Arbeit un spar mir Geld, un dann geh ich zurück un kauf meine Sadie un Lizzie”. “Und dann gehören sie dir?” fragte Huck. “Nein, dann gehörnsie nieman sons. Dann gehörn sie niemand. Dann sin sie frei.”