Ein wichtiges Buch zu einem wichtigen Zeitpunkt.
Wie alle Schirach-Bücher, die ich bisher gelesen habe, hat mich das Werk überzeugt (besonders das Plädoyer von Rechtsanwalt Biegler).
Das Abbild der Realität vor Gericht, unterstützt durch Fakten und Zahlen, hat ein eindrückliches Gesamtbild ergeben. Die Angriffe unter der Gürtellinie auf die Zeugin durch die Verteidigung - die in der Realität durchaus genau so vorkommen - und die Statistiken haben mich einmal mehr sauer zurückgelassen.
Ich kann das falsche Interpretieren des in dubio pro reo Grundsatzes nicht mehr hören und finde, Schirach hat diese Thematik - genauso wie das Schweigen einer/s Angeklagten, Falschanschuldigungen und Vergewaltigungsmythen - feinfühlig und für juristische Laien verständlich auf den Punkt gebracht.
Das Ende hat genau das bewirkt, was es wollte: Es hat Schuld- und Tatfragen aufgeworfen, Unsicherheiten vergrössert und zum intensiven, vielschichtigen Nachdenken über Stammtischparolen auf die eine oder andere Seite hinaus angeregt.
Ich finde, dieses Buch eignet sich auch gut als Einstieg in das komplexe Thema der sexuellen Gewalt im Strafrecht, weil es einen guten Überblick über die Problemfelder und mögliche Stolpersteine gibt. Für Menschen, die sich bereits intensiv mit dem Themenkomplex auseinandergesetzt haben, werden wahrscheinlich keine neuen Erkenntnisse folgen, aber wer sich neu damit befasst, wird gezwungen, Schwarzweissbilder - auf die eine oder andere Seite - zu hinterfragen und überdenken.