Aufgewachsen ist Helena Pelletier in einer baufälligen Hütte im Moor. Abgeschnitten von der Zivilisation und der Welt lebte die kleine Familie eins mit der Natur. So war sich Helena von klein auf gewohnt, sich auf ihre Wahrnehmung, ihr Wissen und ihren Vater zu verlassen. Bis sich nach 15 Jahren nicht nur ihre Welt, sondern sich auch der Blick auf ihren Vater ändert. Denn Jakob ist ein gesuchter Verbrecher und Helena die Frucht aus diesem Verbrechen. Jahre später, Helena ist selbst Mutter zweier Töchter, bricht ihr Vater aus dem Hochsicherungsgefängnis aus und nimmt Kontakt mit ihr auf. Er zettelt eines ihrer schon früher oftmals gespielten Fährtenlesen-Duelle aus. Nur, dass das Ganze kein Spiel mehr ist.
Titelgebend ist das Märchen von Hans Christian Andersen “Die Tochter des Moorkönigs”, aus dem regelmässig bei Kapitelbeginn kleine Abschnitte abgedruckt wurden. Doch damit hat es sich auch schon mit Märchen. Denn der Plot der Geschichte ist an und für sich sehr verstörend.
Ein Kind wächst mit seinen Eltern im Moor auf. Ohne zu ahnen, dass ihre Mutter nicht freiwillig dort lebt und ihr Vater ein gesuchter Verbrecher ist. Ihre Kindheit nennt die Protagonistin Helena immer wieder “ meine Zeit im Moor”. Was genau die Tat ihres Vaters beinhaltet, verrate ich hier natürlich nicht. Nur so viel: diese Tat ist zutiefst abscheulich und eines der schlimmeren Verbrechen, das ich mir vorstellen kann.
Ein paar Logiklöcher haben mich gestört. So denkt die Protagonistin in ihren Erzählungen als 11-Jährige über Autos und Fernseher nach. Das wohlgemerkt, obwohl sie die ersten elf Jahre ihres Lebens in einer provisorischen Hütte im Moor ohne Strom und fliessendem Wasser verbracht hat.
Die Erzählungen von Helena, die von der Gegenwart in die Kindheit wechseln, sind beklemmend und beängstigend. Oft musste ich mir in Erinnerung rufen, warum sie im Moor aufwachsen muss. Gerade diese Normalität, die sie skizziert, hat bei mir Grauen ausgelöst. Sie kannte kein anderes Leben und für sie war ihr Leben normal und nicht beängstigend. Mangels Vergleiche und Wissen wächst sie auf, wie es ihr vorgegeben und vorgelebt wird. Die Passagen ihrer Kindheit beinhalten keine offensichtlichen Misshandlungen oder Gewalt. Diese treten subtil auf. Spannend wird es in den Passagen, die in der Gegenwart handeln, denn da jagt Helena ihren Vater. Eine grosse Portion Naturbeschreibungen, naturkundliche Details und Survival runden die Geschichte ab.
Mir hat “ Die Moortochter” gut gefallen, obwohl der Spannungsbogen relativ flach gehalten wird. Nicht die Suche und die Ueberführung eines Täters steht im Mittelpunkt, sondern das Leben eines Opfers, der Tochter des Täters. Karen Dionne hat sehr viel Wert auf naturkundliche Beschreibungen und Erläuterungen gelegt, mit denen sie mich gefesselt hat.