Erster Eindruck:
Bei Murakami passiert das Eigentliche nur am Rande seiner Worte. Wörter sind für ihn nur ein Trick, ein Hilfsmittel. Das, worum es wirklich geht, folgt den Wörtern wie ein Schatten. Und wenn Du zu sehr im Kopf bist, dann wirst Du zwar gut auf die Wörter hören, aber es kann Dir nichts mitgeteilt werden. Aber wenn Du ganz ohne Kopf bist, dann folgen den Wörtern unsichtbare Schatten, so fein gesponnen, dass nur das Herz sie wahrnimmt - unmerkliche Schatten, unsichtbare Wellen und Energie die den See des Bewusstseins kräuseln, Wellenvibrationen … und diese machen die Kommunikation des ansonsten nicht sag- und erfahrbaren “Universums” möglich.
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Nach dem Fertiglesen:
Bei seiner “Reise nach Innen” wird man deshalb vermutlich nie genau wissen, mit welchem Bild er genau was meint - aber wer weiss das schon, und “what’s in”, das überhaupt wissen zu wollen? Die Schönheit des Buches - und dazu passt der schillernde Einband ganz gut - besteht wohl darin die MikroHubbel der welligen Sätze allein in ihrer, die Selbstreflexion anstachelnden Natur zu belassen, ohne sie über die Logik zu brechen. Das Buch ist damit nicht einfach eine Erzählung, sondern eine beinahe schon haptische Erfahrung, die genau wegen der innewohnenen Unschlüssigkeit wohl immer wieder von Neuem reflektiert und neu interpretiert werden kann. Und wie ein roter Faden zieht sich die Frage durch das Buch: wtf ist eigentlich “Wirklichkeit?” bei welcher sich nur die Veränderbarkeit der Mauern als Konstante hält: sei es als Uebergang von Leben und Tod, Wachsein und Schlaf, Traum und Wirklichkeit, als Balken vor unserem Kopf, Spaltung über religiöse und kulturelle Normen, in Corsagen eingezwängte Brüste, Oeffnungszeiten, musikalischer Geschmack und der Polarität vieler weiterer Objekten, die frei zwischen der mikroskopischen und der allumfassenden makroskopischen Betrachtungsebene oszillieren.
Vom “Esoterischen” mal abgesehen, fand ich die Schilderung des reduziert erwartugnsfreien, sanft-selbst-genügsamen, achtsamen (wie kann man über Schneeschaufeln zwei Seiten füllen?) Lebens in Endlosschalufe, sowohl im abgeschiedenen japanischen Berg-Kaff als auch in der fiktiven Einhörnerstadt, so spannend, wie für mich persönlich unattraktiv. So monoton wie die Oertlichkeiten so schablonenhaft einfach schienen mir auch die Charaktere, vor allem diejenige der Frauen. Ob bewusste gewähltes Stilmittel um den Charakter der Story zu unterstreichen oder grundsätzlicher Stil des Schreibens mag sich mir gerade nicht erschliessen. Aber genau diese Sprödheit bildet den unfaufgeregten Rahmen in denen die kruden Einfälle des Autors umso strahlender glänzen: Einhörner, Uhren ohne Zeiger, HauptPersonen ohne Namen, ein Mann im Wickelrock, Yellow Submarine, sich vom Schatten trennen, Corsage gegen hypothetische Dinge, Löwenzahnersatzkaffee, Mauern die ihre Form verändern,…
Fazit: Wer schon einmal selbst auf der “Reise nach Innen” war, Osho kennt und mit “Heilen” was anfangen kann, hat wohl nicht nur definitiv mehr von diesem Buch, sondern wird auch verstehen, warum Murakami 40 Erfahrungsjahre der Reife zuwarten musste, um diese Geschiche endlich in einem grossartigen Werk zu Ende zu bringen, und nun mit sich fein sein dürfte, diesem Ende nichts mehr hinzufügen zu müssen, weil es genau so perfekt ist, und das macht, was es soll: verzaubern!
Murakami ist ja auch ein hervorragender Pianist (mit eigener Bar). Und so lassen sich auch seine Texte wie Medoldien sehen, die, sofern man sich darauf mit dem Herzen einlassen kann, sich in ihrer Aussage des Unsagbaren primär im Moment des Lesens vollständig erschliessen, und nicht erst am Ende des Liedes interpretiert werden müssen oder sollen.