Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass dieses letzte, posthum und gegen seinen Willen veröffentlichte Werk das Erste ist, das ich von Gabriel García Márquez lese. Und es macht mir unheimlich Lust auf sein Hauptwerk.
Eingebettet ist der schmale Band, der von Dagmar Ploetz aus dem Spanischen übersetzt wurde, in ein Vorwort seiner Söhne, Rodrigo und Gonzalo García Barcha, und ein Nachwort durch seinen Lektor und Herausgeber des Buches, Cristóbal Pera, die uns gemeinsam die Entstehungsgeschichte dieses letzten Werkes vor Augen führen.
Aber worum geht es? Wir begleiten Ana Magadalena Bach, anfangs 46 Jahre alt und seit 27 Jahren glücklich verheiratet, dabei, wie sie mehrere Jahre hintereinander mit der Fähre auf eine karibische Insel übersetzt, um am 16. August auf dem Grab ihrer Mutter einen Strauss Gladiolen abzulegen. Doch in diesem Sommer hat sie, zum ersten Mal in ihrem Leben, eine spontane Affäre mit einem ihr unbekannten Mann. Und daraus wird ein Ritual.
Ich bin mir sicher, dass Literaturwissenschaftler*innen ihre wahre Freude an dem schmalen Band haben, am Vergleich zu Márquez’ übrigen Büchern, zu Themen, Motiven und Bildern in “Wir treffen uns im August”. Da ich keine Literaturwissenschaftlerin bin, wird diese Analyse maximal angedeutet.
Zunächst einmal fiel mir auf, dass der Autor nur wenige Worte benötigt, um Stimmungen und Orte präzise einzufangen. Da er scheinbar Zeit seines Lebens gerade auf der Wortebene sehr bewusst gearbeitet hat und entsprechend lange an seinen Sätzen feilen konnte, werden Márquez’ Fans hier womöglich Abstriche feststellen, da der Literaturnobelpreisträger wegen seiner fortschreitenden Demenz den Text nicht mehr auf gewohntem Niveau bearbeiten konnte. Mir jedoch wäre das nicht aufgefallen.
Seine Figuren, vor allem die Liebhaber, erschienen holzschnittartig, aber das sind sie sicherlich bewusst, spielen sie doch eigentlich nur eine Nebenrolle. Denn es geht schliesslich um Ana, ihre Freiheit und Lust. Ein Thema, das definitiv öfter behandelt werden könnte in der Literatur. Bei Márquez kann sie die jedoch nicht unbeschwert geniessen, da sie nach jedem Abenteuer Gewissensbisse plagen. Was mich zu der Frage führt, warum das so ist? Vermutlich entspricht es der Realität, aber ich habe den Eindruck, das moralische Dilemma beschäftigt vor allem Frauen.
Eigentlich ist sie in ihrer Ehe, ihrem Alltag glücklich, doch die Affären öffnen ihr zugleich die Augen. Da stellt sich gleich die nächste Frage: Soll das heissen, sie wäre glücklicher, wenn sie sich weiterhin auf Haus und Heim konzentriert hätte? Oder soll es eher heissen, dass sie sich langsam aus einem selbstgebauten Trugbild befreit? Vielleicht ist es auch keine Entweder-Oder-Frage, kein erhobener Zeigefinger.
Reizvoll ist, dass Ana bei jeder Überfahrt ein anderes Buch dabeihat. Angefangen bei Bram Stokers «Dracula», über «Der Tag der Triffiden» von John Windham, Ray Bradburys «Mars-Chroniken», bis hin zu «Die Pest zu London» von Daniel Defoe – was uns möglicherweise auch so einiges über die einzelnen Episoden verraten kann.
Ein Büchlein, liebevoll geschrieben und bearbeitet, leicht zu lesen, mit eindrücklichen Bildern, spannenden Fragen und einer überraschenden Erkenntnis am Ende, das mich enorm neugierig macht auf die Klassiker von Gabriel García Márquez. Ich bin gespannt, wie meine Lesegruppe das Buch erlebt hat!