Percival Everett hat mich einmal mehr tief beeindruckt! “James”, sein neuestes Werk, erzählt Mark Twains “Huckleberry Finn” aus Sicht von Jim/James und diese Sicht hat es in sich.
Ich-Erzähler James, des Lesens und Schreibens mächtig, schildert rückblickend und in chronologischer Reihenfolge seine Flucht und verdeutlicht uns nebenbei, was Sklaverei und die damit einhergehende Willkürlichkeit für ein Menschenleben bedeuten und wie sich das auf unzählige Generationen ausgewirkt hat. Wie der Mississippi, an dem James sich orientiert, windet sich auch der Roman in unerwartete Richtungen und bietet uns teils diametrale Blickwinkel, nicht nur auf James Situation kurz vor Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges, sondern auch auf die heutige (US-amerikanische) Gesellschaft.
Phänomenal ist Everetts Spiel mit der Sprache und den Registern, was von Nikolaus Stingl exzellent ins Deutsche übertragen wurde! James gelangt unterwegs in den Besitz eines Stiftes und Papier und uns wird bewusst, wie wichtig es ist, selbst in der Lage zu sein, die eigene Geschichte zu erzählen. Es mag banal klingen, aber auch dafür brauchen wir die richtigen Wörter, brauchen wir Sprache. Everetts Sinn für Humor und die Absurditäten von James’ Existenz sind in Kombination mit der Leichtigkeit und vor allem angesichts der zugrundeliegenden Tragik ein weiteres herausragendes Merkmal dieses Romans. Leichtigkeit und Spannung generiert vor allem Hucks Anwesenheit, denn für den Jungen ist alles ein grosses Abenteuer - und James spielt mit.
“James” kann einfach so gelesen werden, aber die Fülle an Bildern und Motiven sowie die Sprache bieten reichlich Grundlage für Diskussionen. Auch über die Frage, wie James über eine weisse Leserschaft denken könnte.
“James” ist ein Roman, der mich auch lange nach der Lektüre beschäftigen wird und den ich wärmstens empfehlen kann.