“Späte Ernte” ist ein einfühlsamer Roman, der auf zwei miteinander verknüpften Geschichten beruht und die Leser in die raue und faszinierende Welt der Südtiroler Berglandschaft entführt.
Die Erzählung beginnt im Jahr 1943 mit der jungen Lene, die voller Träume von einer glücklichen Zukunft auf dem Bauernhof ihrer großen Liebe Elias ist. Doch das Schicksal hat andere Pläne, und Lene muss lernen, wie hart das Leben in den Bergen sein kann. Viele Jahrzehnte später erleben wir Anna, Lenes Enkelin, die mit Hingabe und Ausdauer Äpfel auf dem gleichen kargen Land anbaut. Als sie die geheimnisvolle Lis kennenlernt, die eine schwere Schuld mit sich trägt, gewährt sie ihr ohne viele Fragen Unterschlupf. Über ein ganzes Jahr verbringen die beiden Frauen auf dem Hof, im Einklang mit der Natur, und Anna hilft Lis, sich zu öffnen und zu heilen, da sie selbst die Last einer fremden Schuld kennt.
Nicole Wellamin gelingt es, die Atmosphäre und Geschichte Südtirols lebendig werden zu lassen. Schön ist die Tiefe, mit der sie die Lebensgeschichten von Lene und Lis beschreibt. Lediglich bei der Darstellung von Anna hätte ich mir eine etwas lebendigere Beschreibung gewünscht, um besser Zugang zu ihrem Charakter zu finden.
Der Roman ist aus verschiedenen Perspektiven geschrieben, was den Spannungsbogen aufrecht erhält und mich dazu brachte, das Buch förmlich zu verschlingen. Während der Anfang des Buches recht dramatisch ist, fließt die Geschichte im Hauptteil ruhiger dahin. Mit jedem Kapitel erfahren wir mehr über die Protagonisten und ihre Entwicklungen, begleitet von wunderbaren und erlebbaren Beschreibungen der Südtiroler Natur.
Der Schlussteil des Buches konzentriert sich hauptsächlich auf die Auflösung der Handlungsstränge, und hier empfand ich persönlich einige Passagen als zu kitschig und klischeehaft. Dennoch kann ich das weiterempfehlen, besonders für Leser, die sich nach Südtirol träumen oder es als Ferienlektüre vor Ort genießen möchten. Mit seinen wechselnden Höhen und Tiefen bietet “Späte Ernte” für jeden Lesegeschmack etwas.