«Belanglos» war leider das erste Adjektiv, das mir während der ersten Hälfte von Elizabeth Strouts neuem Roman «Am Meer» einfiel.
Worum geht’s? Lucy Barton, Autorin, weiss, Mitte 60, wird von ihrem ersten Mann, William, genötigt, mit ihm von New York nach Maine zu ziehen. Denn was für sie noch lange nicht greifbar ist, hat er längst erkannt: eine Pandemie ist im Anmarsch. Der Roman beginnt somit Anfang 2020 und endet im Frühjahr 2021.
Wie ist es erzählt? Ich-Erzählerin Lucy, die Strout-Fans bereits aus zwei anderen Romanen kennen, lässt uns mehrheitlich an ihren Gedanken teilhaben, die beständig zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit wechseln und die vor allem um sich selbst und ihre Familie kreisen. Die wenigen, eher knappen Dialoge wirken auch aufgrund ihrer Wortwahl oft oberflächlich und wie Lucy zu ihrem Leben nahm auch ich eine Distanz zum Roman und seinen Figuren ein.
Kurz nach der Hälfte hatte ich kurz den Eindruck, es würde interessanter, als sie nämlich auf die politische Situation in den USA zu sprechen kam, auf den tiefen Riss in der Gesellschaft zwischen Begünstigten und weit weniger Begünstigten, zwischen Trump-Anhängern und dem Rest. Sie kommt auch noch mehrfach darauf zu sprechen, aber auch diese kurzen Abschnitte wechseln sich rasch ab mit ihren übrigen Gedanken. Toll an ihrem Blick auf die Gesellschaft fand ich, wie bewusst sie Vorurteile abbaut. Ebenfalls gefallen haben mir die Erwähnungen von Olive Kitteridge, einer Hauptfigur aus Strouts früheren Werken, sowie die hoffnungsvolle Aussicht, dass wir später im Leben (wieder) eine freundschaftliche Beziehung zu Menschen führen können, die uns oder die wir einst verletzt haben – wenn wir denn möchten. Insgesamt haftete “Am Meer” für mich eine therapeutische Note an, als habe Strout/Lucy das Bedürfnis, das Gefühl der pandemiebedingten Entfremdung und Deplatzierung aus ihrem Leben schriftlich festzuhalten, um es nachvollziehen zu können.
Alles in allem würde ich es nicht mehr als «belanglos» bezeichnen, aber ich kann auch nicht behaupten, dass mich «Am Meer» gepackt oder gar begeistert hätte. Von daher würde ich diesen Roman eher nicht empfehlen.
Die Übersetzung stammt von Sabine Roth.