Keine dreissig Jahre alt wurde der Autor Stephen Crane (1871 - 1900). Paul Auster widmet seinem unruhigen Leben, seinem vielfältigen Werk fast 1200 Seiten. Das kommt keineswegs trocken herüber, vielmehr spannend und abwechslungsreich. Das Werk beginnt mit seiner Kindheit als jüngster Sohn einer sehr kinderreichen Familie, von seiner Mutter verhätschelt, bis nach seinem Tod, mit der kurzen Fortsetzung über das weitere Leben seiner Frau Cora, mit der er nicht verheiratet war, aber etwa drei Jahre lang zusammengelebt hat.
Sowohl beschreibt er die Person Stephen anhand Berichten zu Begebenheiten, aus Briefwechseln und zahlreichen Dokumentationen. Das soziale Leben des jungen Schriftstellers kommt zum Zug, seine Freundschaften, seine Beziehungen zu Frauen und auch gewisse Werthaltungen. Was während seinem ganzen Leben gleich bleibt ist das Verhältnis zu Geld, resp. das stete mehr Geld ausgeben, als er einnahm. Das Werk von Stephen Crane ist ebenfalls sehr ausführlich beschrieben und behandelt. Immer im Zusammenhang mit der jeweiligen Lebenssituation. Immer wieder gibt er Ausschnitte aus diesen Werken wider. Das sind Romane, viele Erzählungen und auch journalistische Texte. Crane hat sein Geld vorwiegend mit Journalismus verdient, so war er auch als Kriegsberichterstatter im Krieg um Kuba gegen Spanien im Einsatz. Man merkt, dass Paul Auster sehr beeindruckt ist von Stephen Crane als Schriftsteller, äussert sich aber durchaus auch kritisch. Offensichtlich hat er sich dem Werk genaustens angenommen. Für die Biographie hat er sich vieler Werke zu Stephen Crane bedient, die bereits existierten.
Das Lesen dieses umfangreichen Werks braucht etwas Ausdauer - rein vom Umfang her - hat sich aber für mich absolut gelohnt. So habe ich einen wirklich detaillierten Einblick in das Leben dieser Person mit einem ausgesprochen komplexen Charakter und in sein Werk erhalten und ich habe Lust, gelegentlich etwas von Stephen Crane zu lesen.
Ich (der Autor) gehe es nicht als Fachmann oder Wissenschaftler an, sondern als alter Schriftsteller, der das Genie eines jungen Schriftstellers bewundert.
Zum ersten Mal in der amerikanischen Literatur wird dem Leser nicht gesagt, was er zu denken hat - er wird lediglich aufgefordert, die Geschehnisse im Buch mitzuerleben und dann seine eigenen Schlüsse zu ziehen.
Crane schreibt: Gibt man einem Mann keine faire Chance, tugendhaft zu sein, und erstickt seine Umgebung sein moralisches Streben, so berechtigt ihn dies, und dies allein, sage ich, sich gegen die Gesellschaft aufzulehnen. Natürlich ist es immer möglich, den Märtyrertod zu sterben, aber wer von uns möchte schon Märtyrer sein. Wir sehnen uns nach Gerechtigkeit, wenn sie herrscht, braucht man nicht den Märtyrertod zu sterben. Auster schreibt dazu: "Diese Sätze haben es in sich. Zum einen lesen wir hier ein politisches Glaubensbekenntnis - Crane nennt die Bedingungen, unter denen ein Mensch das Recht hat, sich gegen die Gesellschaft aufzulehnen…anders gesagt, den Wert eines Menschen und seine Chancen, ein tugendhaftes Leben zu führen. Moralität ist aber nicht nur eine Frage des individuellen Verhaltens, sondern auch eine Frage unserer zwischenmenschlichen Beziehungen …
Paul Auster schreibt über Crane zusammenfassend: Er war niemand, dann war er jemand. Er wurde von vielen bewundert, von vielen verachtet, und dann verschwand er. Er wurde vergessen. Er wurde wiederentdeckt. Er wurde wieder vergessen. Er wurde wiederentdeckt, und jetzt, während ich Anfang des Jahres 2020 die letzten Zeilen dieses Buches schreibe, sind seine Bücher wieder vergessen. Es ist eine dunkle Zeit für Amerika, eine dunkle Zeit überall, und während so vieles geschieht, das unsere Gewissheiten untergräbt, wer wir sind und wohin wir gehen, ist vielleicht der Augenblick gekommen, Stephen Crane aus seinem Grab zu holen und sich seiner wieder zu erinnern.