In diesem Band sind drei Erzählungen Kafkas enthalten, die alle vom Leid der Söhne erzählen. In einer sehr präzisen Sprache, einer ausgewählten Einteilung der Kapitel und sorgfältigem Aufbau.
Das Buch wird eingeleitet durch einen Kurzüberblick über Kafkas kurzes Leben und über Wissenswertes zu diesen Texten. Wertvoll hat mir das Lesen dieses Buches aber die ebenfalls spannende Lektüre der Oldenbourg Interpretationen gemacht. Damit vermochte ich viel einzuordnen und zu verstehen.
In allen drei Werken kommt das Bemühen der Söhne um Anerkennung zum Wort - das vergebliche Bemühen notabene. Die Ausgrenzung, die sie erfahren, insbesondere von den Vätern. In Kombination mit einer Hilfe kann ich nur ermutigen, sich an Kafkas Werke zu wagen.
Brief an den Vater
Mir diesem über hundert Seiten langen Brief an seinen Vater, offenbart Franz Kafka einen tiefen Einblick in sein Inneres. In ein sehr feines, verletzliches und intelligentes Wesen. Er analysiert sich selbst, seinen Vater und die Beziehung zwischen ihnen, ohne etwas zu beschönigen. Es hat mich fasziniert, wie er sowohl den Vater und sein Verhalten analysiert, als auch sich selbst reflektiert. Gegen Ende des Briefes die Antwort, die sein Vater ihm möglicherweise auf diese Äusserungen geben würde, unter Anbetracht dessen, dass es die Formulierung des Sohnes ist, ist beeindruckend. Der Vater, der in seinem Verhalten, seinen Äusserungen dem Sohn gegenüber unfassbar abwertend war, der Sohn, der sehr empfindlich war und es nicht vermochte, sich vom Vater zu lösen, sein Leben lang. Die Heiratsfrage mit wiederholten Heiratsvorhaben und dem Aufgeben von diesen Absichten, ist im Erwachsenenalter ein zentraler Punkt.
Die Lektüre hat mich gefesselt, obwohl sie nicht einfach ist. Wirklich schwer zu verdauende Kost. Für mich unabdingbar, um Werke wie “Die Verwandlung” verstehen zu können, wenn auch vermutlich nur ansatzweise.
Hätte ich Dir weniger gefolgt, Du wärest sicher viel zufriedener mit mir. Vielmehr haben alle Deine Erziehungsmassnahmen genau getroffen: keinem Griff bin ich ausgewichen; so wie ich bin, bin ich (von den Grundlagen der Einwirkung des Lebens natürlich abgesehen) das Ergebnis Deiner Erziehung und meiner Folgsamkeit. Dass dieses Ergebnis Dir trotzdem peinlich ist, ja dass Du Dich unbewusst weigerst, es als Dein Erziehungsergebnis anzuerkennen, liegt eben daran, dass Deine Hand und mein Material einander so fremd gewesen sind.
Verwandlung
Die Erzählung baut nicht nach und nach Spannung auf, sondern man wird gleich zu beginn unmittelbar mit dem schrecklichen Ereignis konfrontiert - Gregor Samsa erwacht und findet sich als Käfer verwandelt vor. Die Spannung wird aber in einem Auf und Ab beibehalten. Die wichtigsten Akteure sind Gregor und seine Familie, d.h. Vater, Mutter und die Schwester Grete. Nebenschauplätze bedienen der Prokurist aus der Firma, in welcher Gregor als Reisender angestellt ist, Bedienstete und im letzten Kapitel drei Zimmerherren.
Gregor war der Ernährer der Familie, nachdem die Geschäftstätigkeit seines Vaters Schiffbruch erlitten. Für die Familie zu sorgen war für ihn sehr wichtig. Daneben hatte er offensichtlich besonders für den Vater keine Funktion. Mit der Verwandlung wird er in seinem Zimmer abgeschottet. Anfänglich kümmert sich die Schwester um die Reinigung seiner Kammer. Seine Mutter wird von seinem Anblick verschont. Der Vater erscheint eher als bedrohliche Person.
Am Anfang der Erzählung wird Gregor noch beim Namen benannt, später wird er ein “Es”, “Ungeziefer” und schliesslich muss man “es loswerden”.
Es ist ein sukzessives Ausgrenzen, Entwerten der Person Gregor, bis zu seinem Tod. Beklemmend und nachdenklich stimmend.
Mit der vorhergehenden Lektüre der Interpretationsvorgaben aus den Oldenbourg Interpretationen hat das Lesen dieser Geschichte wirklich Freude gemacht. Sicher nicht “einfach wegzulesen” als Unterhaltung, aber doch gut, mit Gewinn und flüssig zu lesen.
In den ersten vierzehn Tage konnten es die Eltern nicht über sich bringen, zu ihm hereinzukommen, und er hörte oft, wie sie die jetzige Arbeit der Schwester völlig anerkannten, während sie sich bisher häufig über die Schwester geärgert hatten. Nun aber warteten oft beide, der Vater und die Mutter, vor Gregors Zimmer, während die Schwester dort aufräumte, und kaum war sie herausgekommen, musste sie ganz genau erzählen, wie es in dem Zimmer aussah, was Gregor gegessen hatte, wie er sich diesmal benommen hatte, und ob vielleicht eine kleine Besserung zu bemerken war.
(Nachdem sein Zimmer ausgeräumt wurde) Beim Anhören dieser Worte der Mutter erkannte Gregor, dass der Mangel jeder unmittelbaren menschlichen Ansprache, verbunden mit dem einförmigen Leben inmitten der Familie, im Laufe dieser zwei Monate seinen Verstand hatte verwirren müssen, denn anders konnte er es sich nicht erklären, dass er ernsthaft danach hatte verlangen können, dass sein Zimmer ausgeleert würde. Hatte er wirklich Lust, dass sein Zimmer ausgeleert würde?
Als sie (die Bedienerin) bald den wahren Sachverhalt erkannte, machte sie grosse Augen, pfiff vor sich hin, hielt sich aber nicht lange auf, sondern riss die Tür des Schlafzimmers auf und rief mit lauter Stimme in das Dunkel hinein: “Sehen Sie nur mal an, es ist krepiert; da liegt es, ganz und gar krepiert!”
Das Urteil
Diese kurze Erzählung handelt im Wesentlichen davon, wie Georg Bendemann seinem Vater von einem Brief an seinen Freund in Petersburg erzählen will, in dem er diesem die seine eigene Verlobung bekannt gibt. Die Diskussion zwischen Vater und Sohn, die Geringschätzung des Vaters, kommen darin sehr deutlich zum Ausdruck. Aber auch die Verpflichtung, die der Sohn seinem Vater gegenüber verspürt.
Beim Anblick der nicht besonders reinen Wäsche machte er sich Vorwürfe, den Vater vernachlässigt zu haben. Es wäre sicherlich auch seine Pflicht gewesen, über den Wäschewechsel seines Vaters zu wachen.
(Vater): “Ein unschuldiges Kind warst Du ja eigentlich, aber noch eigentlicher warst Du ein teuflischer Mensch! - Und darum wisse: Ich verurteile Dich jetzt …!”