Jaroslav Rudiš nimmt uns mit auf einen Spaziergang durch’s nächtliche Prag am Heiligabend. Zusammen mit seinem Ich-Erzähler, Jára, ziehen wir von Kneipe zu Sehenswürdigkeit zu Kneipe, zu Brücken, zur Moldau und zu Kirchen, lassen die Atmosphäre der Stadt auf uns wirken, ihre Melancholie und Bedeutsamkeit, geniessen die ungewöhnliche Stille der Stadt, die Schneeflocken, die vom sternenbedeckten Himmel rieseln, und gabeln unterwegs drei ebenso verlorene Menschen auf wie unseren Ich-Erzähler: Kavka, dessen Kopf immer an Heiligabend strahlt wie ein Leuchtturm, den König von Prag, der zu allen Häusern Schlüssel hat und dessen Kinder ihn lieben (ihre Mütter aber nicht mehr), und Stella, eine italienische Witwe, deren Mann Prag und seine Strassenbahnen liebte.
Rudiš spielt mit der Länge seiner Sätze, mit Aufzählungen, Wiederholungen und Bildern. Sein Prag wirkt an diesem Abend ganz besonders mythisch. Er erzählt Geschichten von Dichtern, Musikern und Malern, die sich in Fische und Vögel verwandelt haben, und berichtet von weihnachtlichen Traditionen. Die stimmungsvollen Illustrationen, ganz- und doppelseitige Linoldruck-Bilder in dunklen Tönen, wie Blau und Lila, von Jaromír 99 fangen die Atmosphäre des Buches perfekt ein. Die Stationen von Járas Streifzug gibt es alle tatsächlich, was dem Buch etwas Sehnsuchtsvolles verleiht. Ich kann mir jedenfalls gerade nichts Besseres vorstellen, als am Heiligabend durch Prags stille Strassen zu wandeln.