Der sensible und naive Moritz sieht um jeden Menschen eine Farb-Aura, und Mareike Fallwickl schafft es von Anfang an, dass ich SPÜREN konnte, wie Rafaels einst lebhaftes Grün, „dunkler, fast schwarz“ wird. Als die nach dem Verlust ihrer Eltern total verlorene Johanna sich dem Kindergarten-Freundes-Duo anschließt, ist der Sprengstoff ausgestreut und die Zündschnur wartet im Dunklen entzündet zu werden. Da sind die drei 17 Jahre alt, unzertrennlich, verbringen jede Minute des letzten Schuljahrs miteinander – dann jedoch sehen sie sich 16 Jahre lang überhaupt nicht – warum?
Die Autorin erzählt die Geschichte aus der Sicht von Moritz, Johanna (Er/Sie Perspektive) und aus jener von Moritz Mutter, Marie (Ich-Perspektive), praktisch von Moritz Zeugung bis ins Jahr 2017, als er Mitte 30 ist. Die Sprache, die sie dabei ihren Protagonisten gibt, ist jeweils an deren Alter und Lebensphase angepasst und es mach Spaß ihr zu folgen, wenn sie zwischen den Protagonisten und verschiedenen Zeiten und Orten hin und her springt.
Nur die Hauptfigur, der auch im Mittelpunkt der dunklen Gewitterwolken dieser Geschichte stehende Raffael (Raf), bleibt uns Lesenden lange ein Geheimnis, er manipuliert seit frühen Kindertagen alle, er provoziert, er spielt mit jenen, die seinem Charme, seinem Lächeln und, falls weiblich, seinem tollen Aussehen erliegen, er drangsaliert seine Mitschüler, ist zynisch und doch wieder auf eine seltsame Art ist er mehr, vielleicht sogar einfühlsam.
Mareike F. schafft es uns Lesende zu fesseln indem die Kapitel der Geschichte Mosaiksteine aneinanderreihen, die ein geschockter Moritz am Schluss neu zusammen setzten muss, sie kann definitiv spannende Charaktere zeichnen, Handlungsstränge sehr packend gestalten und Situationen plastisch darstellen. Sie macht das mit klug und einfühlsam gesetzten Worten, und manchmal fast poetischen Bildern.
Es geht um zwischenmenschliche Abgründe, Liebe, Abhängigkeit, um sich verlassen fühlen aber auch darum was Kindheit für Kinder wie Eltern bedeuten kann.
Es geht auch um das, was wir auslösen, wenn wir etwas sagen – aber vor allem auch wenn wir etwas NICHT sagen. „All die Dinge die wir nicht sagen, legen sich um uns, wir werden darin eingewickelt, bis wir unbeweglich sind und kaum noch sehen können“ sagt Marie, die Raffaels zerstörerische Kräfte schon im Kleinkind ahnt, die aber auch selbst in ihre eigene Geschichte verstrickt wird.
Als die Abgründe dann aufbrechen, als die drei sich dann nach 16 Jahren wiedersehen, gelingt Mareike F. ein toll geschriebenes Finale. Ein Finale, das nicht zur Gänze „dunkelgrün fast schwarz“ ist, eines, das ich mir in dieser Art gar nicht mehr vorstellen konnte, denn zu sehr schien schon vorher alles kaputtgegangen.