Wilde Manöver ist auf der ganzen Linie anders als alles, was ich bisher gelesen habe, anders in Handlung, Aufbau, Sprache und Schreibstil. Die Zuordnung zu einem bestimmten Genre ist auch schwierig und eine Rezension zu schreiben ebenso.
Das Buch beginnt mit der Einladung zu einer Tagung im Institut für Frühgeschichte/Sozialwissenschaften im Jahr 2098. Es wurde eine Akte mit Vernehmungsprotokollen aus dem Jahr 2025 und ein Notizbuch gefunden. Diese könnten, laut Einladung “der Schlüssel zum Verständnis der Anfänge sein”. Anscheinend der Anfänge der aktuell herrschenden Realität in 2098.
Was folgt sind nun diese sonderbaren Protokolle, worin eine junge Frau über eigenartige Vorkommnisse und Handlungen befragt wird, die sie zusammen mit einer Freundin ausgelöst oder verübt haben soll. Die junge Frau erzählt sehr ausschweifend wie sie zwei durch Zürich irren, getrieben wie von unbekannten Kräften und dabei eben die unmöglichsten abstrusesten Dinge tun. Währenddessen schweben zudem unzählige Kräne über der ganzen unwirklichen Szenerie.
Während der Lektüre wusste ich nie, wohin das alles führen soll. Trotzdem habe ich es mit Vergnügen gelesen, denn die eigenwillige Sprache zwingt einen, die Dinge einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel zu betrachten. Alles wird aufgebrochen, die bestehende Ordnung, die Zeit, das Gefühl für den Sinn des Lebens. Manchmal ist die Sprache dabei sehr schön, fast unpassend poetisch oder philosophisch. Dann wieder scheint es, als ob willkürlich stehende Wendungen und Phrasen aus Politik, Wirtschaft und Medien eingebaut würden, aber eigentümlich verfremdet. Auf jeden Fall entsteht trotz vieler Irrungen und Wirrungen nicht wirklich etwas Neues, keine neue Ordnung, keine neue Welt, nur kleine Veränderungen. Zumindest wird uns kein Bild der Realität im Jahr 2098 präsentiert. Das bleibt letztendlich unserer Fantasie überlassen und zeigt vielleicht auch, wie unendlich schwierig es ist, etwas wirklich Neues zu erschaffen oder das Bestehende zu erklären.
Einen kleinen Hinweis auf die Welt im Jahr 2098 hätte ich mir zwar gewünscht, aber ich kann auch mit diesem offenen Ende leben. Das Buch hat mich auf jeden Fall fasziniert, meine Gedanken kräftig angeregt und wird mich noch eine Weile beschäftigen.
Nur über die Wertung bin ich mir noch immer unschlüssig, denn die Geschichte ist doch sehr im Lokalen verhaftet und die zum Teil kriminellen Handlungen werden leider manchmal ziemlich verharmlost. Ich finde es auch nicht schlimm, wenn nicht alles ganz klar zu durchschauen ist, das ist sogar reizvoll und ich habe grossen Respekt vor dem Mut zum Experimentellen. Aber hier bleibt mir das Konzept, die gesamte Choreographie der Ereignisse doch zu sehr im Verborgenen. Ausserdem ist der Klappentext ziemlich irreführend, aber dafür kann die Autorin vermutlich nichts. Alles in allem sind es für mich ungefähr 3 Herzchen und ich empfehle das Buch nur denjenigen, die sich auf ein etwas gewagtes Experiment einlassen möchten.