Ein vielseitig lesbares Lektürevergnügen legt Wolf Haas einmal mehr mit «Eigentum» vor.
Drei Tage hat Wolf Haas’ Mutter noch zu leben und den Autor überkommt der Drang, sich alle Erinnerungen an sie von der Seele zu schreiben, um nicht den Rest seines eigenen Daseins als externe Festplatte für das mütterliche Leben zu fungieren. Während er also die Mutter im Altersheim besucht, zum fünf Kilometer entfernten Friedhof spaziert, sobald sie wieder einmal eingeschlafen ist (oder es vortäuscht), und mit mässigem Erfolg alle Gedanken an die Poetikvorlesung zu verdrängen versucht, die er sich zu halten verpflichtet hat, erzählt er das Leben seiner Mutter in sprunghaften Anekdoten nach und lässt sie immer wieder auch selbst zu Wort kommen.
Obwohl Marianne Haas 1923 in Armut geboren wurde, den Zweiten Weltkrieg miterlebte, sich ihr Leben lang abrackerte für etwas Eigentum, das sie doch nie erhielt, und im Verlauf ihres Lebens immer öfter in erbitterte, immer gleich verlaufende Tiraden ausbrach gegen die Ungerechtigkeiten des Lebens, schreibt Wolf Haas mit viel Wärme und vor allem Humor. Ich habe so oft lachen müssen beim Lesen!
Genial finde ich übrigens, wie er den Eindruck vermittelt, alles jetzt im Moment zu schreiben, eben schnell, alles frisch und ohne gross zu reflektieren, aber sein eigenes Tun gleichzeitig kommentierend – während ich mir ziemlich sicher bin, dass in dem Text erheblich mehr Arbeit steckt. So wirkt der Text auf uns locker, flüssig und spontan, was zum Lesevergnügen beiträgt. Er selbst als Erzähler hat die Funktion eines Chronisten inne, was ihm eine gewisse Objektivität verleiht, sodass er mit der bereits erwähnten Leichtigkeit dieses schwierige Thema vom Sterben eines Elternteils angehen kann.
Dass er eigentlich zur selben Zeit besagte Poetikvorlesung vorbereiten sollte, ist dem Text sprachlich ebenfalls anzumerken. Mir ist sicher nicht alles aufgefallen, aber er spielt hier bewusst mit sprachlichen Mitteln, darunter Wiederholungen, Gegensätze, Wortspiele, erklärt sie uns mitunter auch, geht Wortbedeutungen auf den Grund, baut Referenzen ein und so vieles mehr.
«Eigentum» ist das zärtliche Porträt einer Mutter, ihres Lebens und eines Stücks (österreichischer) Zeitgeschichte. Mit Humor und teils in Dialekt geschrieben. Das Werk eines fantastischen Erzählers, mit prägnanten sprachlichen Bildern, zu Recht nominiert für den Österreichischen Buchpreis 2023. Und für uns Leser*innen sprachlich herausragender Lesegenuss. Für alle Fans von Monika Helfer.