Hossenfelder behauptet in ihrem Buch, der freie Wille sei eine Illusion. Und dies sei eine Tatsache, die aus den Naturgesetzen folge. Diese Behauptung ist aber falsch: Ihre These beschreibt nicht eine objektive Tatsache, sondern beruht vielmehr auf einer meta-physischen Annahme, nämlich die des deterministischen Materialismus. Dass ihre Behauptung, es gebe keinen freien Willen sei eine naturwissenschaftliche Tatsache, nicht stimmt, zeigt sich übrigens auch daran, dass prominente Physiker, wie etwa der Nobelpreisträger Anton Zeilinger, eine völlig andere Meinung als Frau Hossenfelder vertreten (Zeilinger ist der Ansicht, dass die Annahme des freien Willens essenziell dafür ist, überhaupt Wissenschaft zu betreiben). Die Annahme des deterministischen Materialismus ist eben keine naturwissenschaftliche, sondern eine philosophische Position, die überhaupt nicht neu, sondern etwa schon von Thomas Hobbes vertreten worden ist. Es steht natürlich jedem frei, eine solche metaphysische Annahme zu vertreten und sich selbst als ohne freien Willen zu betrachten, aber dann sollte man es nicht so darstellen, als ob sie objektiv wahr wäre und andere Meinungen als „unwissenschaftlich“ abqualifizieren.
Entgegen ihrer Behauptung. sagt die Physik nicht, dass das Universum deterministisch ist: Thermodynamik und Chaostheorie legen vielmehr nahe, dass die Zukunft in letzter Instanz und eigentlich unvorhersehbar ist. Je grösser beispielsweise die Entropie ist, desto weniger weiss man über die Vergangenheit oder Zukunft einzelner Teilchen. Und schon die Entwicklung einfacher physikalischer Systeme (z.B. drei Gravitationssysteme als einfache Punktmassen) ist irreversibel und unvorhersehbar, und sie lässt sich umgekehrt auch nicht beliebig zurückverfolgen. In einem Universum mit Zeit ist prinzipiell nichts genau: Ist etwas unendlich klein oder unendlich kurz, muss man unendlich viel Energie aufwenden, um es unendlich genau zu messen (siehe Heisenbergsche Unschärferelation, vgl. Falcke, Licht im Dunkeln). Naturgesetze sagen letztlich etwas über allgemeine Rahmenbedingungen aus, nicht über konkrete Ereignisse. Wollte man wirklich kausale Erklärungen für konkrete Ereignisse in der Welt haben, bräuchte man Ablaufgesetze der Form “Wenn Ereignis A eintritt, dann folgt (immer) Ereignis B”. Solche Gesetze gelten aber nie strikt deterministisch, schon alleine darum nicht, weil es in der Welt immer wieder Störfaktoren und Eingriffe von aussen gibt (vgl. Schleim, Wissenschaft und Willensfreiheit).
Die Naturgesetze bilden letztlich den Rahmen, innerhalb dessen wir unsere Handlungen frei wählen können. Wir können zum Beispiel ohne Hilfsmittel nicht fliegen, wir können wählen, schnell oder langsam zu gehen, aber wir können uns nicht schneller als das Licht bewegen. Der zentrale Punkt ist also, dass die naturwissenschaftlichen Gesetze, die wir gefunden haben, uns vorgeben, was wir in der Welt physikalisch tun können und was nicht. Aber sie haben nicht die modale Kraft, unsere Handlungen vorherzubestimmen oder hervorzubringen (vgl. Michael Esfeld, Wissenschaft und Freiheit).
Wer von sich sagt, er habe keinen freien Willen, beraubt sich in letzter Instanz der Möglichkeit auf einen rationalen Dialog, weil er sein Denken und Handeln nicht begründen kann. Wir bewegen uns als Personen aber in einem sozialen Raum des Forderns und Gebens von Gründen. Jemand, der nicht in der Lage ist, auf Nachfrage Gründe (und eben nicht unpersönliche Ursachen!) für sein (zukünftiges) Handeln anzugeben würde von der Sprachgemeinschaft nicht als rationaler Akteur betrachtet. Man muss seine Überzeugungen ebenso wie seine Handlungen auf Verlangen rechtfertigen können.