Seit drei Jahren liegt Simone Lapperts «Der Sprung» auf meinem SUB-Stapel und wie das so oft ist, frage ich mich nun, nach der Lektüre, warum ich mir damit so lange Zeit gelassen habe. Denn das Buch hat mich umgehauen.
Eine namenlose Frau springt von einem Dach. So beginnt ihr rasanter, multiperspektivischer Roman. Lappert beschreibt das Gefühl des Fallens, den Wind, der an den Haaren zieht und in den Augen beisst, das Gefühl der Schwerelosigkeit – und sie bricht vor dem Aufprall ab. Stattdessen geht sie einen Tag zurück und stellt uns einige der Bewohner Thalbachs im Schwarzwald vor. Den Polizisten Felix, die Schneiderin Maren, die Detailhändlerin Theres, den Hutmacher Egon, den obdachlosen Henry, den Velokurier Finn, die Schülerin Winnie und viele mehr. Wir tauchen ein in ihre Leben, ihre Vergangenheit, ihre Probleme und Ängste. Dann kommt der Tag, an dem die Frau auf dem Dach auftaucht – und über 20 Stunden dort bleibt. Felix soll sie überreden, vom Dach herunterzukommen, Maren kann nicht in ihre Wohnung, da die Polizei das Haus abgesperrt hat und fährt kurzentschlossen nach Paris, Theres’ Geschäft brummt seit langem endlich wieder, weil die ganzen Schaulustigen versorgt werden wollen, und Egons Schicksal erfährt eine entscheidende Wendung.
Überraschende Zusammenhänge, die Einzelschicksale, die rasante Erzählweise und der famose Spannungsaufbau haben mich das Buch in einem Rutsch durchlesen lassen. Lappert zeigt, wie sich ihre Figuren isoliert im Leben abstrampeln und dabei denken, sie wären allein mit ihren Problemen. Durch unsere Sicht wird aber deutlich, dass es uns allen ähnlich geht, was ungemein tröstlich ist. Zugleich macht sie uns in gewisser Hinsicht ebenfalls zu solchen Voyeuren wie denen, die unten auf der Strasse stehen und darauf warten, dass die Frau endlich springen möge. Während wir also noch darüber urteilen, wie verwerflich das Verhalten der Menschen auf dem Platz ist, blättern wir gespannt weiter.
Ich weiss noch, dass «Der Sprung» in meinem Kurs seinerzeit kontrovers von seinen Leser*innen diskutiert wurde. Mir hat die Lektüre ungemein gut gefallen und ich kann sie nur empfehlen!