David Winkler wächst in Anchorage, Alaska auf. Schon früh ist er fasziniert vom Schnee - von den Schneeflocken, vom Regen, vom Eis. Er hat keine einfache Kindheit, verliert früh seine Mutter und wächst in ärmlichen Verhältnissen auf, zusammen mit seinem Vater, der gut für ihn sorgt. David wird Meteorologe, ist ein stiller Mensch, der nicht viel redet. Das lässt nichts Schlimmes vermuten - allerdings träumt David - er träumt Dinge, die dann auch geschehen. Schlimme Ereignisse - auch schlimm für David. Er träumt auch davon, wie er Sandy kennenlernt, in die er sich verliebt, die dann seine Frau wird und mit der er ein Kind hat. Als er träumt, dass er bei einer Überschwemmung vergeblich versucht, seine kleine Tochter Grace zu retten, flieht er nach St. Vincent, eine Insel in der Karibik. Noch lange träumt er viel. Er wird als seltsamer Mann wahrgenommen - was er wohl auch ist, findet aber eine Familie, die ihn bei sich aufnimmt. Wegen seinen Träumen und dem Verhalten beim Schlafwandeln, muss er allerdings weg.
Seine Vergangenheit lässt ihn nie los. Er möchte wissen, ob seine Tochter lebt. Tatsächlich hat es in Ohio, wo er mit seiner Familie lebte, eine Überschwemmung gegeben. Aber er kann keinen Kontakt mit seiner Frau aufnehmen. Sie beantwortet seine Frage nicht. Die Geschichte geht weiter, entwickelt sich. Seine Träume hören auf. Nicht nur die Geschichte entwickelt sich, auch die Protagonisten.
Ob es ihm gelingt, seine Tochter wiederzufinden, und wie es weitergeht, möchte ich nicht verraten hier. Man muss auch im Buch Geduld haben - allerdings tut das dem Lesegenuss keinen Abbruch, ist es doch durchwegs spannend - auch die präzisen wissenschaftlichen Beschreibungen halten die Spannung aufrecht.
Die Geschichte erzählt davon, wer wir sind, was wir waren und was wir werden. Doerr beobachtet die Menschen sehr gut, beschreibt mit viel Feingefühl und klar, nicht beschönigend. Daneben werden auch Gegenden, Natur, Schnee, Tiere so beschrieben, dass man sie förmlich vor sich sieht, hört, spürt.
Der Schreibstil von Anthony Doerr hat mich einmal mehr überzeugt. Seine Sprache leuchtet und ist eindringlich. Eine unbedingte Leseempfehlung.
Eines Tages trug er ein Stück Schnee von der Treppe ab, auf dem sie ihren Fussabdruck hinterlassen hatte, um ihn in der Tiefkühltruhe aufzubewahren.
Das alles waren Fakten, die durch unzerstörbare Regeln bestimmt wurden: Wasser war elastisch und haftend, es hielt seine Temperatur länger als Luft, es war immer in Bewegung.
Sandy,
Ich habe wieder mit dem Schlafwandeln angefangen. Letzte Nacht bin ich aufgewacht und war im Meer …
Jede Nacht hoffe ich, von Grace zu räumen, wenn ich doch nur ein einziges Mal von ihr träumen könnte, wie sie in deinen Armen oder in ihrem Bettchen liegt…
Winkler (David) war in dem Laden zu ihr (Sandy) gegangen und dann noch einmal auf der Bank; Sandy hatte ihn angerufen, war mit ihm ins Kino gegangen und dann ins Bett, Mittwoch um Mittwoch. Konnten auch diese Dinge vorherbestimmt werden? Hatten sie nicht aus freiem Willen gehandelt?
Ist es überhaupt wichtig? In unserer Erinnerung, in einer Geschichte, können wir am Ende unser Leben immer so hinbiegen, wie wir es brauchen.