Die Ferien stehen vor der Tür und Kemi muss ins Ferienlager – in den Wald! Ausgerechnet. Dabei mag Kemi Bäume am liebsten in Schrankform und ist auch sonst Stadtkind durch und durch. Schlimmer noch: Der Grossteil der Klassenkameraden kommt mit. Dabei sind die Kemi (fast) alle komplett egal. Jörg wurde bestimmt auch zum Ferienlager gezwungen. Freiwillig ginge der bestimmt nicht mit, da Marko und die Dreschke-Zwillinge auch an Bord sind. Ob sich an der Dynamik etwas ändern lässt?
Ob der Ich-Erzähler Mädchen oder Junge ist, blieb für mich bis am Schluss offen, was der Lektüre, gerade im Klassenrahmen, zusätzlichen Reiz verleiht. Auch das Thema Mobbing – wie es entsteht, wie es ermöglicht wird und was sich dagegen machen lässt – bietet sich für den Unterricht an. Kemi spricht altersuntypisch und ist gern gegen alles, was der Erzählung viel Humor verleiht. Stanišić spielt mit Sprache und Satzlänge, erfindet Neuschöpfungen und arbeitet mit Metaphern und Traumbildern. Die Kapitelüberschriften sind dabei Teil der Erzählung. Kemi beobachtet das Geschehen von aussen, schaut kritisch auf sich selbst und die eigene Rolle in dem Gefüge, redet über Wut, Mut und vor allem über Angst und Ohnmacht. Regina Kehn setzt die wechselnde Stimmung in ausdrucksvollen schwarz-gelb-weissen Zeichnungen um. Die können auch mal eine Doppelseite einnehmen, flächig oder vor weissem Hintergrund eingesetzt sein. Die drei Grundfarben sind je nach Stimmung unterschiedlich dominant, der Strich mal dick, mal schraffiert, mal filigran. Die Perspektiven wechseln, ebenso die Grössenverhältnisse.
Der locker gesetzte Text wird von den Illustrationen unterbrochen und verkürzt die unterschiedlich, maximal 20 Seiten langen Kapitel zusätzlich. Aufgrund von Kemis Ausdrucksweise und der Thematik eignet sich das Buch für Leser*innen ab ca. 11 Jahren. Stanišić verzichtet auf ein eindeutiges Happy End seines realistischen Romans. Kemi, aber auch Jörg machen eine Entwicklung durch in dieser Woche, die jedoch Grund zur Hoffnung bietet.
Das Buch liest sich absolut hervorragend. Stanisič nimmt sein Publikum ernst und speist es nicht mit einfachen Lösungen ab. Stattdessen regt er zum Nachdenken an und zeigt auf, worin unsere Schwächen und aber auch unsere Stärken liegen. Ich habe laut gelacht dabei, ich habe gelitten mit den Figuren, ich habe gerätselt, wie sich die Situation am besten auflösen lässt. Ein thematisch relevantes, grandios erzähltes und illustriertes Kinderbuch!