Ayanna Lloyd Banwo erzählt ihre Geschichte abwechselnd aus Sicht ihrer beiden Hauptfiguren, Darwin und Yejide. Beide leben auf Trinidad, er in der fiktiven Hauptstadt Port Angeles, sie abgeschieden davon auf einer ehemaligen Kakaoplantage namens Morne Marie. Er ist von seiner Mutter als Rastaman und als Nasiräer aufgezogen worden und seine Mutter wendet sich von ihm ab, als er den einzigen Job annimmt, den das Arbeitsamt ihm bieten kann: als Totengräber auf dem grossen Stadtfriedhof Fideles. Yejide wiederum wächst mit dem Tod auf, denn in ihrer Familie gibt es immer eine Frau, die den Tod sieht, mit den Toten reden und das Gleichgewicht zwischen Leben und Tod halten kann. Yejide wird die Nächste von ihnen sein.
Farben, Geräusche, Emotionen und Empfindungen wirbeln in Banwos Erzählung um uns herum und lassen den Trubel der Stadt, das spezielle Flair in Morne Marie lebendig werden. Das Exotische und die vielen Nebenfiguren sorgen dafür, dass es etwas braucht, um in die Geschichte einzutauchen. Dafür wurde ich mit Lesestunden belohnt, die mich erdeten und gleichzeitig auf eine weite Reise mitnahmen.
Banwos Hauptfiguren sind vielschichtig, ringen um ihren Sinn, ihre Aufgabe, überhaupt ihr eigenes Leben und wie sie das mit ihrem Erbe, mit ihrer Familie, der Tradition vereinbaren sollen. Nebenbei erfahren wir mehr über die Geschichte, Gesellschaft und wirtschaftliche Situation des Landes. Mystisches und Spiritualität spielen eine grosse Rolle und nehmen teils fantastische Züge an. Es ist eine für Leserinnen ermächtigende Lektüre, die gleichzeitig Demut vermittelt. Demut vor dem Leben, zu dem der Tod dazugehört, was wir nur allzu gern verdrängen.
Spannung baut Banwo auf, weil Darwin sich in einer bedrohlichen Situation wiederfindet. Gleichzeitig rätseln wir, was es mit dem mysteriösen Mann auf dem Friedhof zu tun hat und wann und wie Yejide zueinanderfinden. Als ihre Perspektiven aufeinanderprallen, ergibt dies einen schönen Kontrast, weil wir so manchen Augenblick aus zwei verschiedenen Perspektiven wahrnehmen. Überhaupt gab es viele Gegensätze in ihrem Roman, die Spannung erzeugen: Leben und Tod, Tradition und Individualität, Leben in der Stadt und ausserhalb davon, Frauen und Männer. Wie ihre Figuren eine Balance zwischen den Gegensätzen finden, sorgt am Ende für einen versöhnlichen Tenor.
Das Buch spielt etwa in den letzten zehn bis 15 Jahren, doch weil Technisches keine Rolle im Leben von Yejide und Darwin spielt, könnte der Roman auch vor 50 Jahren spielen.
Michaela Grabinger hatte die schwierige Aufgabe, den Roman aus dem trinidad-kreolischen Englisch zu übersetzen und hat sich entschieden, die Eigenheiten der Ausgangssprache dezent ins Deutsche zu übertragen und das Exotische beizubehalten. Das irritiert an manchen Stellen, aber auf eine, für mich, gute Weise, weil es mich den Figuren etwas näher gebracht hat.
«Als wir Vögel waren» ist ein auf stille Weise beeindruckendes Buch und eine bereichernde Lektüre für alle, die sich gern entführen lassen in andere Welten.