Selten fiel es mir so schwer, eine Rezension zu schreiben: Schon allein die Wahl der Kategorie erwies sich als schwierig, denn als einen Roman mit H"andlungssträngen begreife ich es nicht, es sei denn ich gehe zur alten Bedeutung des Begriffs Roman zurück: "Der Begriff “Roman” geht auf das altfranzösische Wort romanz zurück. Dieser Ausdruck stammt aus dem 12. Jahrhundert und bezieht sich auf damalige Literatur, die in der Volkssprache (und nicht auf Latein) geschrieben wurde."
Doireann Ni Ghriofa verwebt in ihrem Werk ihre eigenen autobiografischen Empfindungen und Meinungen mit ihrer Suche nach der Person der irischen Adeligen Eibhlin Dubh Ni Chonaill im 18.Jahrundert, die nach der brutalen Ermordung ihres Gatten Art ein Klagelied verfasst hat, welches heute noch in Irland gelesen wird.
Dieses Klagelied packt mit grossartigen Bildern die Leserinnen, vor allem, wenn frau die englische Übersetzung versteht - kaum jemand von uns ist ja der gälischen Originalsprache mächtig. Die Suche der Autorin nach Eibhlin ist spannend und bringt auch viele Erkenntnisse, warum die jüngere Geschichte Irlands den bekannten Verlauf genommen hat und noch nimmt.
Das ist die eine Seite des Buchs. Was Doireann Ni Ghriofa über sich selbst schreibt, wie sie sich als Frau und Mutter begreift, steht sicher völlig quer im aktuellen Büchermarkt. Und ist meilenweit von den feministsichen Vorstellungen entfernt, die allgemein beschrieben werden. Mit verstörenden Details schreibt sie über den Milchfluss in ihren Brüsten, über das Abpumpen von Milch und immer wieder über ihre Exzesse von Alkohol. Die Autorin schert sich einen Deut darum, was ihre Leserinnen von ihr denken. Ob man sie begreifen kann oder abstosend findet. Das ist sehr mutig! Und verstörend ehrlich!
Mit ihrer kraftvollen Sprache und ihrem bildhaften Beschreiben zwingt sie so uns Leserinnen dazu, über uns selbst nachzudenken. Wie wir uns begreifen - als Frau. Sie fordert uns quasi heraus, uns schonungslos zu betrachten - und die Welt um uns herum. Das ist ganz sicher nicht jederfrau Geschmack. Schon gar nicht ist dieses Buch eine Sommerlektüre für den Strandkorb! Ich gebe ehrlich zu, dass ich mich mit der Autroin sehr schwertue - ihr vehementes Frauenbild entspricht so gar nicht meiner Auffassung. “Dies ist ein weiblicher Text” - wieder und wieder wirft uns die Autroin den Satz in die Augen. Anstrengend.
Aber vielleicht macht diese Unangepasstheit, diese rücksichtslose Offenheit und die obsessive Suche nach der Dichterin Eibhlin so einzigartig. Im Klappentext ist von Parallelen zwischen den beiden Frauen die Rede. Welches sind die Parallelen? Die schier bodenlose Tiefe der Gefühle bei Doireann und Eibhlin? Das Brennen für etwas? Bei Eibhlin das Brennen des Schmerzes nach dem Tod des geliebten Mannes? Bei Doireann das Brennen für die Mutterschaft?
Jede Leserin wird wohl für sich selbst ihre eigenen Rückschlüsse, Gedanken und Empfindungen aus dem Buch ziehen müssen. Wenn sie sich der Herausforderung dieser unbequemen Lektüre stellt.