Judith Hermann schreibt in den vorliegenden Frankfurter Poetikvorlesungen über ihr Schreiben. Und sie schreibt vom Verschweigen im Schreiben. Sie schreibt davon, wie sie eine Geschichte beginnt und weiterspinnt. Sie schreibt von ihrem Leben und ihren Erinnerungen und wie diese mit dem Schreiben zusammenhängen. Sie schreibt sich in diesem Buch ihrem Leben entlang und nimmt den Leser mit in eine Geschichte des Lebens und Schreibens, die anmutet, als entdecke sie Judith Hermann beim Schreiben erst selbst.
Entstanden ist ein Buch, das Einblicke in Judith Hermanns Kindheit und Aufwachsen gibt, das Freundschaften und Familie thematisiert, und mehr noch als Geschichten Gefühle transportiert – und auslöst.
Gedanken zum Buch
«Jede Geschichte hat ihren ersten Satz. Nicht der Satz, mit dem die Erzählung im Buch beginnt, sondern der Satz, mit dem sie in meinem Kopf beginnt.»
Der Blick hinter die Kulissen von Schreibenden ist immer wieder spannend. Während die einen ihre Geschichten feinsäuberlich planen und sich dann an feste Tagesabläufe halten, lassen sich andere inspirieren und schreiben sich dann in die Geschichte hinein, wie sie sich ihnen zeigt.
«Jede Entscheidung für einen Satz ist eine Entscheidung gegen unzählige andere Sätze. Jede Entscheidung für eine Geschichte schlägt unzählige andere Geschichten aus. Ein Wort vernichtet ein anderes Wort. Schreiben heisst auslöschen.»
Dabei bleibt es nicht aus, dass vieles im Kopf auftaucht, wovon nur ein Bruchteil schliesslich Eingang in die Geschichte findet. Oft weiss der Schreibende mehr über seine Figuren, als er dem Leser explizit zeigt, er kennt Hintergründe und Eigenheiten, die für das Schreiben wichtig sind, die der Geschichte aber nicht dienen.
«Keine Geschichte ist die, die ich erzählen wollte oder müsste. Aber ich kann davon erzählen, dass ich das Eigentliche nicht erzählen kann, das Verschweigen des Eigentlichen zieht sich durch alle Texte…»
Melancholie tropft aus den Zeilen und sitzt in den Zwischenräumen des Geschriebenen. All das, was Verschwiegen wird, findet sich in Andeutungen des Schweigens, nicht aber in seiner wahren Präsenz. Es ist ein Schreiben über Erinnerungen, von denen nicht sicher ist, dass sie wirklich sind oder nur gedacht. Es ist ein Schreiben über das Schreiben, welches das Nicht-Geschriebene in und mit sich trägt. Es ist ein Schreiben dem Leben entlang, von dem nie ganz klar ist, ob es Traum oder Wirklichkeit ist. Entstanden ist ein Buch, das alles offenlässt und dessen Ende man als Leser selbst finden muss. Auch den Sinn von allem muss man selbst ergründen, er zeigt sich nicht offensichtlich.
Fazit
Ein poetisches, ein rätselhaftes, ein melancholisches Buch über das Schreiben und das Leben. Ein Buch, das einen nachdenklich zurücklässt und dessen Sinn sich vielleicht erst später auftut.