Gestern habe ich die letzte Folge von “Unser Deutschlandmärchen” gehört. Ein Genuss! Die zwei Vorlesestimmen haben die autobiografische Geschichte von Dinçer Güçyeter so wunderbar zum Leben erweckt, dass ich glaubte mittendrin zu sein. Ganz grosse Erzählkunst!
Der Autor ist Lyriker und Verleger ‘mit Migrationshintergrund’. Ist es also ein Migrationsroman? Ist es auch, der Vater und die Mutter waren unter den ersten sogenannten Gastarbeitern, die in den 60er Jahren nach Deutschland kamen, aber es ist auch eine Familiengeschichte, vor allem die Geschichte einer Mutter und eines Sohnes und noch so vieles mehr. Denn sie ist ausserordentlich vielschichtig, in Form und Inhalt, sie ist umwerfend frisch und anders, sie ist warmherzig, poetisch und auch sehr sehr persönlich. Eine wahre Menschheitsgeschichte, die Brücken baut und trotzdem die Wunden zeigt, die das Leben manchmal reisst.
Drei Sätze möchte ich daraus zitieren, die mich besonders angesprochen haben: Über Herkunft «Der Boden unter meinen Füssen wird immer eine klare Geografie verfehlen.» Oder über gemeine Anschuldigungen: «Die Bildung spielt oft keine Rolle. Der Mensch ist immer dazu fähig, wenn seine Erwartungen nicht erfüllt werden, das Skalpell durch das Fleisch seines Gegenübers zu ziehen.» Und über Dichtung: «Auch wenn diese Suche [nach dem Kern] oft Pein und Zweifel auslöst, ist es immer noch besser als mit einbetonierten Strophen zu leben.» Sätze aus dem letzten Drittel der Geschichte, denn diese entwickelt sich mit dem Autor von vor seiner Geburt bis hin zum Menschen mit bereits einigen erfüllten Träumen. Einfach wunderbar!
Ich weiss nicht, wie die Geschichte auf mich gewirkt hätte, hätte ich sie selbst gelesen, aber vom Hörbuch bin ich restlos begeistert und möchte es gerne allen empfehlen.