MAX FRISCH DER MENSCH ERSCHEINT IM HOLOZÄN
Der Witwer Geiser lebt seit ein paar Jahren im Tessin und stellt fest, dass er immer vergesslicher wird: «Irgendetwas vergisst man immer; er erinnert sich nicht, warum er den Hut auf dem Kopf hat.» (Dieser Satz erscheint mehrmals).
Im krampfhaften Versuch dagegen anzukämpfen, sammelt er Beiträge aus Lexika, Sprüche aus der Bibel und fertigt eigene Merklisten an, mit denen er dann die Wände seines Hauses tapeziert.
Als das Tal durch ein Unwetter von der Umwelt abgeschnitten wird, realisiert Geiser die kommende persönliche Katastrophe. Und er merkt, dass die schleichende Erosion nicht nur die Natur befällt, sondern auch seinen Kopf: «Erosion ist ein langsamer Vorgang.»
Er heckt einen Fluchtplan aus, bricht aber seine Flucht ab, mit der Einsicht, dass sein Dasein in seiner Heimatstadt so bedeutungslos ist, dass ihn niemand vermissen wird. Seine einzige verbleibende Sorge besteht in der Scham der Entdeckung seiner Verzettelung an den Hauswänden durch seine Tochter.
Max Frisch hat dieser kurzen Erzählung einen bewusst falschen Titel gegeben, denn irgendwo steht auf Geisers Zetteln: «Im → Pleistozän erscheint nach bisheriger Auffassung der Mensch (Altsteinzeit); die erdgeschichtl. Gegenwart spielt sich im → Holozän ab.» (p. 28) Damit will Frisch wohl auf den Gedächtnisverlust seines Protagonisten hinweisen.
Die Lektüre gestaltet sich vollkommen überraschend: Die Sprache ist extrem verdichtet, knappgehalten, repetitiv und die eingestreuten Vorratslisten (p.15), Bibelzitate, geschichtlichen Abrisse des Tessins (pp.18-20), teils in alter Schrift, die Formel des Goldenen Schnitts, Suche nach verschiedenen Formen des Donners, die krankhafte Befassung mit Sauriern und Lurchen, usw bedürfen der Gewöhnung.
Alles in allem Frisch’s Alterswerk über das Altern, eine Parabel über die Vergeblichkeit, dem Tode entrinnen zu wollen.
Der Text vermittelt viele Einsichten: Im Alter von Vergessenem zu schwelgen interessiert niemanden mehr und vergrössert nur die eigene Einsamkeit, die in der Einsicht der eigenen Bedeutungslosigkeit zum Drama der Figuren von MF wird.