Manchmal ist es einfach gut, auf andere zu hören, um zu guter Letzt mit diesem Buch in der Hand im Bett zu landen, zu lesen, auf Teufel komm raus. Dieser Roman ist eine Goldgrube. Ein Juwel. Albert Sánchez Piñols aussergewöhnliches Werk “Im Rausch der Stille” (den deutschen Titel gibt es hier leider nicht bei Orell Füssli) ist das erste Buch, das vom Autor auf dem Markt erschienen ist. Der 1965 in Barcelona geborene Anthropologe wurde durch diesen Debütroman bekannt und der Titel sogar in 28 Sprachen übersetzt.
Die Geschichte beginnt beschaulich. Der Protagonist, geboren in Irland und ehemaliger Freiheitskämpfer, entflieht seiner Vergangenheit und meldet sich auf eine offene Vakanz als “Wetterbeobachter” auf einer gottverlassenen Mini-Insel in der Nähe der Antarktis. Keine begehrte Aufgabe, wie er zum Zeitpunkt der Ankunft selber erfahren wird. Auf der sehr kleinen Insel, am gegenüberliegenden Ende, um genau zu sein, lebt Batis Caffó, im Leuchtturm. Die abweisende, fast schon feindselige Art von Caffó kommt dem namenlosen Protagonisten suspekt vor. Bald schon erfährt der neue Wetterbeobachter, dass auf der Insel nichts so ist, wie es scheint. Bereits in der ersten Nacht, die er in der kargen, unwohnlichen Hütte verbringt, erlebt er die Hölle auf Erden. Aus der Dunkelheit tauchen sie auf und wollen töten: die Froschmenschen. Es sind amphibische Wesen, sie kommen nur nachts und machen das Leben auf der Insel für die zwei menschlichen Bewohner mehr als schwer. Es geht ums nackte Überleben. Glücklicherweise übersteht der namenlose Protagonist diese erste Nacht und natürlich macht er dem Leuchtturmwärter Caffó am nächsten Tag seine Aufwartung, um diesen zur Rede zu stellen. Denn Caffó hatte während des Aufruhrs seelenruhig vom Balkon des Leuchtturms zugeschaut und unserem Protagonisten ist klar, Caffó muss gewusst haben, was passieren würde.
Wie sich herausstellt, lebt Caffó nicht alleine. Er hält sich eines der amphibischen Wesen als Haussklaven. Es ist ein Weibchen, scheinbar ohne jeglichen freien Willen, denn es unterwirft sich Caffó uneingeschränkt und singt sogar, um die sich nähernden Froschmenschen davon abzuhalten, die Bastion “Leuchtturm” anzugreifen. In der Folge erleben wir mit, wie sich Caffó und der Wetterbeobachter mehr schlecht als recht verbünden, wie sie den Alltag gemeinsam meistern und Pläne schmieden, wie den Froschmenschen der Garaus gemacht werden kann, ein für allemal. Während der Protagonist der Geschichte sich endlosen Metzeleien nachts hingibt, kämpft derselbige tagsüber mit seinem Wertesystem und all dem, was ihn zum Menschen macht. Moral, Anstand, Sitte, Verständnis, Liebe und Hass. Doch auf dieser Insel helfen ihm auch die Weisheiten, die er als junger Mensch von einem weisen Tutor gelernt hatte, nicht weiter.
Dieser Roman ist von beeindruckender Wucht! Die zwar nicht immer leicht nachvollziehbaren Gedankengänge des Protagonisten könnten den einen oder anderen Leser abschrecken. Sie tun es aber wohlweislich nicht im Hinblick auf den Lesegenuss. Zu eindrucksvoll ist die Geschichte, die Szenerie und das Gefühl mittendrin zu sitzen, auf dieser scheinbar verdammten Insel. Zu Beginn des Romans entfacht die Geschichte ihr eigenes Feuer mit Sätzen wie z.B. “Wir ähneln denen, die wir hassen, mehr als wir denken. Und deshalb glauben wir, dass wir denen, die wir lieben, nie ganz nahe sind.” Diese und andere Weisheiten verwöhnen uns und machen das Buch zum Lesegenuss. Schneller ausgelesen als erwartet, benote ich dieses Buch mit 5 von 5 möglichen Sternen. Für mich ein absolutes “Must-Read” mit dem Potenzial eines Tages als Klassiker in die Geschichte einzugehen.
Die Geschichte ist sehr spannend, weil die Thematik der Froschmänner für den Leser auch sinnbildlich zu verstehen ist und grosses Diskussionspotential in sich birgt. Wir machen uns beim Lesen dieselben Gedanken wie der Protagonist, leiden mit ihm, schmieden Fluchtpläne und ergeben uns gleichzeitig der ausweglosen Situation. Sprachlich hat Sánchez Piñol sehr viel zu bieten. Nicht die leichteste Kost, die man wählen kann, aber dafür intensiv und wertvoll, sei es in seinen Zitaten, Gedankengängen oder z.B. auch in seinen Verweisen zu H.P. Lovecraft.
Fazit
Ein surreales und auch bizarres Werk, das den Leser von der ersten Seite an fesselt und nicht mehr loslässt. Mit grossartigen Einblicken in die menschliche Psyche, dem menschlichen Urteilsvermögen und den allzu bekannten menschlichen Abarten, den Dämonen in uns. Ein moralisches Werk von grosser Bedeutung. Uneingeschränkt zu empfehlen!