Eine kleine, feine Erzählung über Identität und Familie, zwischen Japan, Korea und der Schweiz.
Die 30-jährige Ich-Erzählerin Claire will mit ihren koreanischen Grosseltern, die seit dem Koreakrieg in Japan leben und dort ein Pachinko betreiben, nach Korea reisen. Doch obwohl die Grosseltern, beide etwa 80 Jahre alt, sich dies schon lange gewünscht haben, scheinen sie nun, da die Reise kurz bevorsteht, doch nicht zu wollen. Die Zeit des Wartens verbringt Claire mit Mieko, einem 10-jährigen Mädchen, dem sie in den Ferien Französisch-Unterricht gibt.
Toll fand ich die kulturellen Bezüge zu Japan, zu Tokyo, der koreanischen Gemeinschaft innerhalb Japans und der Sprache. Gerade die Sprachbarriere ist es, die für Spannungen sorgt: zwischen Claire und Miekos Mutter, Henriette, zwischen Claire und der Grossmutter, zwischen der Grossmutter und der Gesellschaft. Markant der Satz, Claires Urgrossmutter habe sich damals lieber ihre Zunge herausgeschnitten als Japanisch lernen zu müssen. In solchen Sätzen stecken viel Geschichte und Emotionen.
Gut gefallen hat mir ebenfalls, dass die Erzählung im Präsens gehalten ist, weil sie das unmittelbar werden lässt und ich das Gefühl hatte, ich sei gleich mit Claire in Japan. Gleiches gilt für die Beschreibung der Geräusche, die dem Geschehen Lebendigkeit verliehen.
Nur mit Claire und den anderen Figuren bin ich nicht wirklich warm geworden. Schade fand ich, dass sie isoliert blieben, dass Mieko und die Grosseltern sich nie kennenlernten, auch wenn das Miekos Wunsch war. Dass auch Claire sich bei den Grosseltern, teils aus einem eigenen Bedürfnis, teils von der Grossmutter dazu gedrängt, isolierte. Gelegentlich brachte die Autorin Fragen oder Themen ins Spiel, denen sie dann jedoch nicht mehr folgte. So scheinen Kinder ein Thema bei Claire und ihrem Freund gewesen zu sein. Wie jedoch die Haltung der beiden dazu war, wird nur angedeutet, nicht aber thematisiert – was die Frage aufwirft, warum es überhaupt angesprochen wurde? Claire scheint sich in Japan in einer Art Vakuum zu befinden – zwei Masterabschlüsse hat sie (meine ich mich zu erinnern), doch was kommt jetzt? Auch der Frage wird nicht nachgegangen, es bleibt einfach ein Gefühl der Schwerelosigkeit. Und so fand ich auch das Ende irgendwie nicht ganz befriedigend, ohne spoilern zu wollen.
Elisa Shua Dusapin hat einen Roman geschrieben, der realistisch ist – schliesslich ergibt sich auch in unserem Leben nicht alles von Jetzt auf Gleich, gibt es Zeiten der Unentschlossenheit, der Isolation von unseren Mitmenschen. Gerade die Identitäts-Thematik und die daraus resultierenden Gräben schildert sie glaubhaft und mit viel sprachlichem Feingefühl. Nur mich persönlich hat ihr Roman leider nicht ganz begeistern können.
Aus dem Französischen von Andreas Jandl.