Wer ist ein möglicher Selbstmordattentäter, wer ein harmloser Mitläufer? Die Heldin des Romans Alma Revel muss im aufgeheizten Klima nach der Anschlagsserie des IS in Frankreich als Sonderrichterin entscheiden, vor wem die Gesellschaft geschützt werden muss und wer frei in der Gesellschaft leben kann. Im Visier der Justiz geraten alle Heimkehrer, die aus dem Gottesstaat des IS nach Frankreich einreisen wollen. Dazu vernimmt sie den jungen Abdeljalil Kacem, der mit seiner jungen Frau Sonya und einem Baby aus Syrien zurück gekehrt ist. Alma ist eine engagierte Richterin, eine linksliberale Juristin, die ans System glaubt und nicht zuletzt auch eine Frau, die geliebt werden will. Längst hat sie sich von ihrem Mann, der als jüdischer Schriftsteller dem Erfolg seines ersten preisgekrönten Buches hinterher rennt, entfremdet. Ihre Kinder legitimieren ihre Ehe, doch die meiste Zeit verbringt sie umringt von Personenschützern in Paris, ihr Mann mit den Zwillingen im Teenageralter in Fontainebleue auf dem Land. Die ältere Tochter studiert in Paris und lebt mit ihrem liberalen muslimischen Freund Ali zusammen. Doch ausgerechnet in den Verteidiger des terrorverdächtigen Kacem verliebt sie sich und beginnt wider besserem Wissen eine leidenschaftliche Affäre. Die Verhöre des jungen Abdeljalil entzweien das Richtergremium. Und die “Amour Fou” mit dem eloquenten unzähmbaren Verteidiger bringen unsere Richterin in Gewissensnot und führen zu einer verhängnisvollen Entscheidung. Karine Tuil spielt souverän mit den konfliktträchtigen Fragen, denen sich Alma stellen muss. Was bedeutet eine Ehe? Welchen Einfluss hat eine Affäre auf das Urteilsvermögen? Was geschieht mit den Kindern? Welchen Preis zahlt man für die Liebe? Und uns Lesenden stellt sie auch die knifflige Frage: Ist es möglich das indoktrinierte Böse, den unaufhaltbaren Attentäter aus der Masse der unschuldig inhaftierten zu filtern? Rechtfertigt der dazu notwendige Aufwand das Ergebnis? Dieser Roman vereint ein doppelbödiges Justizdrama, die Geschichte einer unmöglichen Liebe und die Auseinandersetzung mit den Tücken des Clinchs des modernen liberalen und letztendlich säkularen Staats mit den Religionen in einen ungemein spannend erzählten Roman.