“Die Hummerkönige” hat etwas Unaufgeregtes, Langsames, nahezu Leichtes, was den Leser Schritt für Schritt oder besser Welle für Welle in seinen Bann zieht. Bereits auf den ersten Seiten fühlt es sich so an, als wenn man mit nackten Füssen im kalten Meerwasser steht. Man weiss, dass da draussen etwas lauert, etwas Unbekanntes, Verhängnisvolles. Trotzdem oder gerade deswegen, bleibt man stehen. Mehr noch, macht einige Schritte vorwärts, angelockt von dem Unsichtbaren.
Genauso verhält es sich mit Alexi Zentners Buch. Das Mystische, Unerklärliche lockt genauso wie das Verlangen mehr über die Familie Kings, die „Königsfamilie“ auf Loosewood Island, zu erfahren. Sowie das Meer mit jeder Welle denjenigen gefangen nimmt, der sich hinaus getraut, so fesselt diese Familiengeschichte den Leser mit jeder Seite mehr und hinterlässt auch nach dem finalen Umblättern einen bleibenden Eindruck.
Der ruhigen und gelassenen Erzählweise mutet zu Beginn etwas Oberflächliches und Distanziertes an. Keine Distanz zwischen dem Leser und den Charakteren, eher eine Distanziertheit zwischen den Charakteren und den Geschehnissen. Ein Junge ertrinkt, das Leben geht weiter. Eine Mutter nimmt sich das Leben, trotzdem müssen Köder ausgelegt, Körbe geleert, Hummer gefangen werden.
Zentner gibt kaum Einblick in die Psyche der Figuren. Erstaunlicherweise führt dies nicht dazu, dass sich der Leser nicht mit ihnen identifizieren kann. Viel mehr glaubt man sich schon bald selber mit auf dem Hummerboot, spürt die Wellen unter sich, schmeckt das salzige Meerwasser. Dennoch bleibt ein fahler Nachgeschmack, da der Leser der einzige ist, welcher das Erlebte reflektiert. Vieles bleibt unausgesprochen, Geheimnisse werden gehütet, auf Aussprachen wartet man vergeblich.
Über weite Teile ohne Hektik erzählt, wird der Roman auf seinem Höhepunkt zum Pageturner. Wenn auf rauer, stürmischer See um Menschenleben gekämpft wird, ist es vorbei mit der Gelassenheit und der Puls des Lesers schnellt unweigerlich in die Höhe. Wie so oft folgt auf Sturm Sonnenschein, doch das Meer hat seine Opfer gefordert. Obwohl die Verluste für nahezu alle Figuren eine Zäsur in ihrem Leben bedeutet und sich alles ändert, so bleibt doch alles gleich. Eine neue Hummersaison beginnt und die Boote fahren hinaus aufs Meer.
Alexi Zentners Werk besticht durch seine entschleunigte Erzählweise. Es nimmt uns mit auf eine Reise in die abgelegene Gegend von Nova Scotia, lässt uns das Gehetze des Alltags vergessen und von einem Leben auf einer kleinen Insel träumen. Eine Insel, auf welcher die Bewohner einander unaufgefordert beistehen und gemeinsam allem trotzen, was das Meer und das Leben für sie bereit hält.