Klaus Mühlhahn
Geschichte des modernen China
Von der Qing- Dynastie bis zur Gegenwart
C.H.Beck Verlag 2021
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
„Making China Modern. From the Great Qing to Xi Jinping“
Harvard University Press, Cambridge, MA/London 2019
Ein Buch aus der Reihe der Historischen Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung. In 12 Kapiteln zeichnet Prof. Mühlhahn ein bewegtes und vielfältiges Bild von Chinas grossartiger Geschichte.
In der Einleitung beschreibt Mühlhahn, wie er sich dem modernen China nähern will. Er will nicht nur die politische Geschichte erzählen, sondern über die Betrachtung der Geschichte der Institutionen den großen „Chinesischen Traum“ von Präsident Xi Jingping, die „Verwirklichung der großen Erneuerung der chinesischen Nation“, erklären.
Mühlhahn stellt heraus, dass es ihm wichtig ist, nicht nur chronologisch Geschichte darzustellen und Herrscher, Ideologien und kulturelle Praktiken aufzuzeigen, sondern auch Gesellschaft, Wirtschaft, Recht und Gerechtigkeit zu beleuchten.
Auch der Einfluss der Umwelt auf die Geschichte Chinas wird im Buch herausgestellt sowie die Auswirkungen der geistesgeschichtlichen Denkweisen. Sein Ziel ist es zu vermitteln, wie China heute tickt, wie die Menschen dort denken und handeln und warum gerade so.
Das Buch besteht aus 4 Teilen, die die großen Epochen beschreiben, von denen jeder Teil wiederum in 3 Kapitel unterteilt ist.
Der 1. Teil handelt vom „Aufstieg und Fall des Reichs der Großen Qing„ in der Zeit von 1644 bis 1900.
Die ruhmreiche Kaiserzeit ist die Basis für das heutige Verständnis von Chinas Stärke. Mit der Eroberung durch die Mandschus konnte sich China aufgrund eines beispiellosen Verwaltungsapparates zu einem der innovativsten, fortschrittlichsten und effizientesten Staat der Welt entwickeln. China war führend in der Textil-, Eisen- und Keramikindustrie.
Nach 1830 änderte sich dies: Westliche Technologien, imperialistische Staaten, Umweltbedingungen, Unruhen, Wirtschaftskrise und institutionelles und politisches Versagen führte zum „Jahrhundert der Demütigung“. Chinas Abstieg war vorprogrammiert.
Mühlhahn zeigt aber, dass sich China nach 1870 jedoch der Abwärtsbewegung entgegen stellt, den Imperialismus überlebt, territorial intakt bleibt und die Grundlagen für die zukünftige Entwicklung legt. Allerdings kommen die Reformen in dem staatlichen Industrialisierungsprogramm mit Schwerpunkt in der Verteidigungsindustrie und Infrastruktur zu spät, wie Mühlhahn schreibt. Die Dynamik des dynastischen Systems war verloren.
Der 2. Teil im Buch „Chinesische Revolutionen“ beschreibt die Zeit von 1900 bis 1949 und behandelt die Entstehung eines neuen republikanischen Chinas. Mühlhahn behandelt die tiefgreifenden institutionellen Reformen im Bildungswesen, in Militär, Wirtschaft und Regierung nach der Niederlage im Boxeraufstand um 1900. Gerade die neugebildete Armee wurde zur Kraft des politischen Wandels in China, indem sie die republikanische Bewegung unterstützte. Unter Sun-Yat-sen wurde China 1912 die erste Republik Asiens mit dem Wiederaufbau eines modernen Nationalstaates und einer modernen Bürgerschaft. Für Historiker gilt dies als das „goldene Zeitalter„ des chinesischen Kapitalismus mit Shanghai als Mittelpunkt.
1928 konnte Chiang Kai-shek die Zentralregierung in Nanjing wiederherstellen und weitere Reformen vornehmen. Jedoch hat der zweite Weltkrieg mit der Invasion der Japaner und der darauffolgende Bürgerkrieg mit den Kämpfen zwischen der Kommunistischen und der Nationalistischen Partei diese zunichte gemacht.
Der 3. Teil des Buches heißt „Chinas Erneuerung“ und beinhaltet den Versuch der Kommunistischen Partei Chinas die chinesische Gesellschaft in der Zeit von 1949 bis 1977 umzugestalten. In den 50er Jahren, als die nationale Einheit wiederhergestellt war, wurde eine Variante des sozialistischen Sowjetmodells eingeführt, die staatliche Bevormundung, der Mao Zedong vorstand. In der VR China herrschte nun die KPCh und konnte durch Kollektivierung Ressourcen umverteilen.
Trotzdem blieben Ungleichheiten bestehen, die zu Spannungen führten.
In den 1960er Jahren führte die Initiative „Großer Sprung nach vorn“ und die Kulturrevolution zu massiven Zerstörungen und Todesopfern und zum Verlust der in den 1950er Jahren erreichten Ziele.
Der Maoismus strebte eine Revolution des Staates und des politischen Systems an, die er dann nicht mehr bewerkstelligen konnte.
Trotzdem konnte in der Post-Mao- Ära eine neue administrative Elite aufsteigen und zum Faktor der Stabilität werden.
Der 4. und letzte Buchteil schildert wie der VR China nach der ruinösen Politik der ersten 30 Jahre seit 1978 eine wirtschaftliche Erholung gelang. Unter der pragmatischen Führung von Deng Xiaoping und seiner Reform- und Öffnungspolitik gelang der Übergang zur Marktwirtschaft mit hohen Wachstumsraten des BIP.
Nach Mühlhahn beruht dieser Aufstieg aber auch auf historischen Wurzeln, der reichen administrativen Erfahrung, den hochentwickelten Märkten und seiner Bildung.
Auf der einen Seite hat China eine Schlüsselposition in der Weltwirtschaft und einen globalen Machtanspruch, auf der anderen Seite bleiben tiefgreifende Herausforderungen zu bestehen: China ist ein autoritärer Einparteienstaat geblieben. Das Massaker von 1989 zeigte dies und schwächte zusammen mit der herrschenden Korruption die Legitimität der KP-Regierung. Diese reagierte darauf mit zunehmendem Nationalismus und einer Politik des anhaltenden raschen Wirtschaftswachstum. Die wachsende soziale Ungleichheit, massive Umweltzerstörungen im Zusammenhang mit den Wirtschaftsreformen in der VR China werfen Fragen nach deren Nachhaltigkeit auf. Soziale Spannungen und Konflikte nehmen zu. Ist Chinas politisches System geeignet, um mit einer vielfältigen Gesellschaft und der dynamischen Wirtschaft fertig zu werden?
Ungeachtet des erreichten Wohlstandes und der erlangten Machtposition steht China vor einer zunehmend ungewissen Zukunft, einer Zukunft, der sich auch die gesamte Menschheit gegenüber sieht.
Somit ist dies keine rein chinesische Erzählung mehr, sondern eine gemeinsame Geschichte unserer Zeit.
Mühlhahn beschreibt sehr kompetent die Geschichte Chinas und lässt dem Leser immer wieder Einblicke in die Politik, Wirtschaft und Staatswesen gewinnen.
Interessanterweise zeigt sich China als Spielball aller politischen Möglichkeiten von der Autokratie, Monarchie, Absolutismus zu Kommunismus, Sozialismus, Maoismus, freier Marktwirtschaft u.v.m.
Nichts scheint nicht schon erprobt worden zu sein. Komischerweise hat das historische China scheinbar am Besten funktioniert, aufgrund seines gut ausgebildeten Beamtenapparates, obwohl es eine absolutistische Herrschaft gewesen war.
Ein phantastisches Buch von einem Chinakenner par excellence für alle Chinafans und für Alle, die China verstehen wollen.