Hermann Lenz hat mit seiner autobiographischen Roman-Reihe um Egon Rapp eine detaillierte Dokumentation der deutschen Geschichte geschaffen. Falls man sich fragt, wie war das denn, am Wohnzimmertisch in den fünfzigern? Man kann es bei ihm nachlesen. Seine realistischen Romane sind meisterlich. Die Autobiographie beginnt bei seinen eigenen Grosseltern (das ist für ihn der Anfangspunkt seiner eigenen Geschichte), leider sind aber die meisten Bände vergriffen und Suhrkamp legt sie nicht mehr auf, bzw. nur ab und an einen in einer grauenvollen book-on-demand-Variante.
Dass es “Neue Zeit” geschafft hat lag einzig am Jubiläum zum hundertjährigen Geburtstag des längst verstorbenen Autors (wo doch Suhrkamp die ganze Reihe hätte wieder auflegen können! -aber das ist wohl zu viel verlangt).
Wir begleiten Egon Rapp auf den Frankreichfeldzug und nach Russland. Zurück lässt er seine Verlobte Hanne Trautwein, sehr gefährdet, da ihre Mutter Jüdin war. Im Herzen trägt er die Abscheu gegen das Regime. Da liegt er, im Schützengraben, er tut Dienst, er bemüht sich, die Freiheit seiner Gedanken zu wahren. Lenz beschreibt all dies so nüchtern, als würde er eine Bagatelle erzählen. Es ist der Tonfall, in dem man über Wahres spricht, eine tief empfundene Wahrheit. Wie oft habe ich gehört “mit meinem Vater habe ich über den Krieg gesprochen. Und er sagte: nur so, wie es der Lenz geschrieben hat, stimmt es. Alles andere ist Humbug”. Ich kann das freilich nicht einschätzen, aber das Buch ist über die Massen lesenswert. Dass Lenz von der Gruppe 47 nicht akzeptiert wurde, dass er so lange als erfolgloser Dichter ein Dasein fristete … und dass er, nach seiner Entdeckung durch Handke eine kurze Phase mit vielen Preisen hatte, aber jetzt von seinem Verlag Suhrkamp, der wie eine Glucke auf den Rechten an diesen grossartigen Texten sitzt, vergessen wird, das ist bitter, bitter bitter.
Handke hat über dieses Buch gesagt, das sei “poetischer Geschichtsunterricht”. Das ist wohl sehr zutreffend. Lest Lenz, es lohnt sich!