Wenn ich in Buchhandlungen stöbere, dann sind es oft Covergestaltung oder Haptik, die mich zu einem Buch ziehen. So ging es mir auch bei „Nordstadt“, dem Debütroman von Annika Büsing.
Auf gerade mal 123 Seiten erzählt Büsing die Geschichte der Bademeisterin Nene. Mit Anfang 20 kämpft sie mit den Nachwirkungen einer gewaltbeherrschten und lieblosten Kindheit, scheint jedoch trotzdem irgendwie in dem Beruf angekommen zu sein. Das Schwimmbad, in dem sie arbeitet ist eine Art Zufluchtsort für sie. Hier hat sie mit 5 Jahren schwimmen gelernt, Beachtung erfahren, Erfolge erlebt und konnte der Lieblosigkeit immer wieder für ein paar Stunden entfliehen. Mit einem erfüllten Leben oder gar einem Happy-End für die Liebe rechnet sie nicht, auch wenn erste Satz des Romans genau dieses Happy-End suggeriert, wird man doch mit „Ich liebe Dich“ in die Geschichte reingezogen. Im Schwimmbad lernt Nene dann Boris kennen. Vom Leben erwartet er nichts. Als Kind hatte er Kinderlähmung, kämpft nach wie vor mit den Folgen und dem Spott der Mitmenschen. Jobs gibt es für ihn nicht. Nur Schimpfwörter oder, vielleicht noch schlimmer, Mitleid. Die beiden nähern sich trotzdem an, doch gleich das erste Date wird zum Debakel, doch irgendwie „zecken“ sie sich in das Herz des anderen. Ihre Liebe ist unperfekt, doch berührt sie beide tief im Inneren, haben den Mut, ihre alten Narben zu zeigen und vielleicht auch, neue zuzulassen.
Annika Büsing erzählt die Geschichte der Beiden aus der Sicht Nenes. In derbem und sehr eigenwilligem Ton berichtet sie über die langsam wachsende Zuneigung zu Boris, der ihr erfundene Geschichten über sein Leben erzählt und sie trotzdem auf seine Weise mit Respekt behandelt. Sie schleicht sich in sein Herz, überwindet die Schutzwälle, die er aufgebaut hat und lässt ihrerseits Mauern durchlässiger werden. Man beginnt die beiden Figuren zu mögen, wünscht sich irgendwie das Happy-End für sie. Doch wird es das wirklich geben? Ein bisschen bleibt es für mich offen, wenn ganz am Schluss Boris an der Beerdigung von Nenes Vater für sie da ist und ihr eine wie ich finde versteckte Liebeserklärung macht, wenn er sagt „Wenn du mit wem anders rummachst, stecke ich die Stadt in Brand“. Oder ist es eine Drohung, die aus der völligen Hilflosigkeit eines Menschen entsteht, der nie Liebe erfahren hat, diese auch für sich nie erwartet und einzig Mitleid und Spott kennt?
Annika Büsing malt mit der atemlosen, getrieben wirkenden Erzählweise ein düsteres Bild von einem Leben am Rande unserer Wohlstandsgesellschaft. Der Roman nimmt gefangen, fasziniert, macht jedoch gleichzeitig irgendwie beklommen, verstört. Ich bin gespannt, auf welche Geschichte Annika Büsing als nächstes das Schlaglicht werfen wird.