Judith steht vor ihrem fünfzigsten Geburtstag und zieht eine Lebensbilanz: zwar verheiratet, aber nicht mit ihrem Traummann; Kinder, aber bereits ausgeflogen; nicht die erhoffte Karriereleiter erklommen; alte Schuldgefühle – was soll jetzt noch kommen? Als ihre Mutter stirbt, kehrt Judith nach zwanzig Jahren in ihre alte Heimat zurück, wo sie von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Das Wiedersehen mit ihrer Freundin Anne ist sehr emotional: Anne ist krank, hofft aber, den nächsten Sommer noch zu erleben. Es ist höchste Zeit für die Wahrheit…

Erster Eindruck: Das filigran gezeichnete Cover gefällt mir sehr gut, ebenso die weiteren Illustrationen im Buch von Peter Bichler.

In Judiths Augen sieht ihre Bilanz nicht sehr vielversprechend aus. Dabei hat sie doch so vieles, wofür sie dankbar sein könnte. Nur sieht sie all das nicht und so gerät sie ins Jammern. Aber sie wird nicht aktiv, sie verharrt im Jammern (das kommt mir leider nur zu bekannt vor!). Zudem ist es grundsätzlich schlecht, sich selbst mit retuschierten Fotos von Prominenten auf Social Media zu vergleichen – da kann jede:r nur verlieren! Ob es für die Promis, die ihre Fotos zünftig „aufhübschen“ lassen, manchmal nicht komisch ist, sich so zu sehen? Erkennen sie sich selbst? Nun denn, das ist ein anderes Thema.
Mir haben Judiths Freundinnen Martina und Anne gefallen. Beide haben ihre eigenen Ansichten auf das Leben. Martina ist sehr pragmatisch und sagt geradeheraus, was sie denkt (nur will Judith oftmals nichts davon hören). Anne hat sich aufgrund ihrer Krankheit sehr viele Gedanken gemacht und würde rückblickend wohl einiges verändern wollen (nur geht das dummerweise nicht).

Es hat viele Passagen, die mich zum Nachdenken gebracht haben, wie z.B.:
- „Einfach mal nicht mehr nachdenken über sich und andere und die Beschwernisse des Lebens. Ich denke eigentlich nicht gerne nach. Man kommt dabei so leicht ins Grübeln.“ Tja, wem sagt sie das?
- „Meine Komfortzone endet an der nächsten Strassenecke. Ein scharfes Wort zur falschen Zeit, und mein Ego geht ins Exil.“ Hm, kommt mir bekannt vor…

Eine Geschichte über Schuld, Freundschaft, das Älterwerden, Heimat, Liebe und den Tod. Mir hat der Schreibstil gefallen und beim Lesen habe ich des Öftern zustimmend genickt, geseufzt oder auch vehement meinen Unmut geäussert. Etliche Geheimnisse – über all die Jahre – hätten nicht sein müssen, denn wieder einmal wäre Kommunikation das Zauberwort gewesen. Die Lektüre hat mich sehr gut unterhalten und erhält von mir 4 Sterne (Abzug gab es für die aus meiner Sicht unnötigen und uncharmanten Verweise auf diverse Prominente).