Das Publikum wird dort hinsehen, wo der Zauberer hinsieht.
Der Blick des Zauberers ist der Blick des Publikums. (p. 213)
So endet dieses lesenswerte Buch
Für Iris Wolff ist Erzählen wie Zauberei. Alles ist unscharf und man muss den Augen des Zauberers folgen. Die Autorin sieht sich als Magierin, die dafür sorgt, dass die Geschichte von vier Generationen nicht verloren geht.
Ihr Titel ist Programm.
In einer einfachen, poetischen Sprache, die vor allem von Farben, Gerüchen und Naturgeschehen lebt, erzählt sie, wie Geschichten aus verschiedenen Perspektiven andere Bedeutungen bekommen. Dabei greift sie auch auf allerlei Symbolik zurück, z.B. der Drache, der Oz entführt.
Die Unschärfe der Geschehnisse spiegelt sich im Unfassbaren der Sprache, und oft ist Stille aussagekräftiger als eine unbestimmte Wortwahl.
Zurechtgelegte Sätze verlieren ihren gedachten Sinn, lösen Unbehagen aus.
Ebenso ungewiss ist die Ordnung der Welt. Das politische System, die Überwachung durch den Staat, das Zusammenleben verschiedener Ethnien und Mentalitäten, sie alle führen zu einer chaotischen Unordnung, welche die Sehnsucht der Personen nach Zugehörigkeit als dringlich hervorhebt..
Am leichtesten lässt es sich dabei überleben, indem man sich vom Wind treiben und sich von der Partei nicht unterkriegen lässt, und vor allem, die Hoffnung nie aufgibt.
Selbst Enteignungen, Verhöre, Flucht und Verrat gelingt es nicht, die Personen des Romans von ihrem eingegangenen Weg abzubringen.
Iris Wolff beschreibt das auf p. 127 so:
Doch die meisten Menschen hatten Übung darin, sich täuschen zu lassen. Vielleicht war getäuscht zu werden die grösste Sehnsucht von allen.
Erst im Tod herrscht Ordnung.
In 7 Kapiteln beschreiben 7 Personen aus 4 Generationen ihre eigene Geschichte und als roter Faden diejenige Samuels.
Zentral ist dabei ihre Eigenwahrnehmung der Welt.
Sein Vater Hannes, dessen Pfarrhof das Zentrum der Familiensage bildet, berichtet über seine Tätigkeiten als Seelsorger.
Seine von der Stadt aufs Land gereiste Gattin Florentine behütet ihren Sohn Samuel in den Wirren des kommunistischen Regimes.
Die Grossmutter Karline, eine überzeugte Monarchistin, übersteht nur mit viel Mühe die Enteignung der Wollfabrik ihrer Familie und bringt Samuel zu viel Erleuchtung.
Durch seine Freundschaft mit Oz wird Samuel reifer und seine Liebe zu Sana sorgt für die unerwartete Wende am Ende des Buches. Schlicht ergreifend geschildert, meisterhaft.
Ist es Zufall, dass Anfang und Ende im Schnee (Zapada) angesiedelt sind?
Die weisse Decke legt sich wie eine undeutliche Schicht über die Schicksale der Protagonisten und es braucht die Magie des Erzählers, unseren Blick auf das Wesentliche zu lenken.
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