‘Schrieb sentimental-romantische Kinderromane’ ist eine Randnotiz zu Frances Hodgson Burnett in meiner ‘divibib’-Ausgabe. - Es mag sein, dass diese ‘Klassifizierung’, die wenig vorteilhaft klingt… auch auf ‘Der kleine Lord’ zutrifft - doch ist die Geschichte keineswegs eine Plattidüde, sondern hat Tiefgang - und ich möchte sogar ‘Weisheit’ anfügen!
Da wächst der kleinee Cedrik nach dem Tod seines Vaters allein bei der Mutter auf, die ihn über alles liebt, wie auch er die Mutter, die er wie einst sein Vater ‘Herzlieb’ nennt.
Ceddie hat ein argloses Wesen, ein kindlich-offenes Herz und ein sonniges Gemüt. Er geht auf Leute und Tiere zu - und mag sie einfach alle - da gibt es keine Vorurteile, keine Angst und auch kein Neid. Mitunter hat er, der viel um Erwachsene ist, ein ‘alväterisches’ Reden und Gebaren - doch kommt auch dies so echt und natürlich daher, dass man nicht umhin kommt, darüber zu lachen.
Unversehens wird Ceddie aus dieser Welt heraus gerissen, als der Advokat seiner Grossvaters ihn aus Amerika nach England holen will - als einziger direkter Nachkomme, soll er dereinst als Lord Fauntleroy das immense Erbe des alten Grafen Dorincourt antreten. Dieser jedoch ist ein verbitterter, ja hasserfüllter, gichtbrüchiger Mann. Bereits die drei eigenen Söhne mochte er nicht leiden, den jüngsten (der Vater des künftigen Erben) wurde aus der Familie verstossen, nachdem er eine Amerikanerin heiratete - die nun nach der Rückkehr ins Landgut des Schwiegervaters weiterhin geächtet ist.
Und all diesen Unbilden, von denen Lord Fauntleroy nichts weiss und nichts ahnt, können ihm nichts anhaben. Unbekümmert geht er auf seinen Grossvater zu, ebenso auf die Bediensteten und die Leute vor Ort. Er dünkt sich nichts besonderes - glaubt, dass einzig die Grosszügigkeit des Grossvaters über allem waltet. So scheut er sich nicht, seinen Grossvater zu rühmen - auch vor andern Leuten, die den Alten ganz anders kannten und kennen. - Und mit dieser Haltung geschieht allmählich das Wunder:
Der Eisblock von Mann schmilzt in dieser Kindersonne.
Zudem merkt der alte Graf Dorincourt, wie wohl gut sein und Gutes tun, tut, wie er zunehmend liebesfähig wird, weniger Gichtschmerzen hat - und sich sein Leben leichter anfühlt. Er findet Anschluss - und letztendlich springt er über seinen Schatten - nachdem er ihn an der Hand Ceddies durchschritten hat.
Gegen Schluss wendet sich das Blatt jedoch unversehens gegen Ceddie und seine Mutter - doch da ist der Grossvater schon längst gewonnen und nicht bereit, kampflos die Segel zu streichen!
Eine wunderbare Geschichte, die grad am Ende zu Tränen rührt… und eben nicht bloss ‘sentimental’ ist! Würden wir mit derselben Offenheit und Natürlichkeit auf die Menschen zu gehen, nicht immer wieder die andern beargwöhnen oder etwas neiden… wäre mehr Glück in der Welt. - Vielleicht simpler vorgestellt, als umgesetzt - aber nicht unmöglich….