Ein ausgesprochen gutes Buch von Laetitia Colombani. Sie erzählt darin aus drei Lebensperspektiven und zeigt auf wie drei Leben, auf unterschiedlichen Kontinenten, aus unterschiedlichen Kulturen trotzdem zusammenhängen können.
Da wäre Smita aus Indien: Sie ist eine Dalit, eine Unberührbare, welche Gandhi “Kinder Gottes” nannte. Als Dalit ist sie keiner Kaste zugehörig. Sie wird als zu unrein betrachtet um mit anderen in Berührung zu kommen dürfen und hat auch keine Schule besucht. Für ihre Tochter Lalita wünscht sie sich etwas anders. Und obwohl das Mädchen, so wie ihre Mutter auch schon, als Dalit geboren wurde, möchte Smita, dass ihre Tochter die Schule besuchen kann. Denn sie weigert sich Lalilta das Handwerk der Kloputzer beizubringen. In manchen Dörfern werden Mädchen nach der Geburt lebend in Kisten verscharrt. Smita wünscht sich für ihre Tochter etwas anders. Nachdem Lalita aber mit Striemen auf dem Rücken nach dem 1.Schultag nach Hause kehrt. Fasst Smita einen Entschluss. Sie verflucht diese Gesellschaft, die ihre schwächsten Glieder unterdrückt. Smita möchte das Dorf verlassen, aber… Frauen geniessen keinerlei Respekt, man vergewaltigt sie ohne Scham. Einen Mann der seine Schulden nicht begleicht, straft man indem man sich an seiner Frau vergeht. Einen Mann, der einer verheirateten Frau nachsteigt, straft man, indem man seine Schwester missbraucht. Jedes Jahr werden in Indien 2Millionen Frauen ermordet. Smita’s Mann will von der “Flucht” aus dem Dorf darum nichts wissen. Smita denkt sich, dann werde sie eben ohne ihn fortgehen. Auf ihrer Reise quer durch Indien erleben Smita und Lalita Personen, mit ihren eigenen Vergangenheiten, mit ihren eigenen Geschichten. Eine Frau zum Beispiel welche ihren Mann verloren hat. Witwen haben einen schweren Stand in Indien. Meistens werden sie von der Familie verband. Sie werden verflucht, haben sich in den Augen der anderen schuldig gemacht weil sie die Seele des Verstorbenen nicht zu halten wussten. Meistens erhalten sie keine Rente und der Anblick einer Witwe bringe Unglück. Eine Frau verfügt über keinerlei eigene Besitztümer. Mit der Hochzeit schenkt sie ihrem Ehemann alles was sie hat. Verliert sie ihn, hört sie auf zu existieren. Und trotz all diesen kulturellen Vorschriften und Versteifungen, mit denen Smita aufgewachsen ist, möchte sie für ihre Tochter kämpfen und ausbrechen.
Da wäre auch Giulia aus Sizilien: Sie macht gerne lange Nächte, die sie mit lesen verbringt und sie ist 20 jährig. Seit fast einem Jahrhundert lebt ihre Familie von den Cascatura, einem alten sizilianischen Brauch, der darin besteht, die ausgefallenen oder abgeschnittenen Haare zu sammeln um später Toupets oder Perücken anzufertigen. Ihr Vater, welcher die Firma aktuell führt, erleidet einen Unfall und liegt im Koma. Eine Begegnung auf der Strasse, während einer Prozession verändert ihre ganze Welt. Sie hasst es diese junge Frau zu sein, die den Ereignissen seit jeher tatenlos zusieht, die sich nicht traut in den Lauf der Dinge einzugreifen, um ihnen eine andere Richtung zu geben. Die Rolle der Frau besteht darin, den Mann glänzen zu lassen, so hat ihre Mutter es ihr beigebracht. Die Männer in ihrem Umfeld reden zu viel, sind autoritär, cholerisch und aufsässig. Kamal ist das exakte Gegenteil. Giulia findet heraus, dass das Familienunternehmen vor dem Bankrott steht und fragt sich, ob ihr Vater sich aus Scham sogar das Leben nehmen wollte. Die Mutter möchte daraufhin Giulia mit einem reichen Jungen verheiraten, welcher schon viele Jahre in Giulia verliebt ist. Giulia ist ausser sich. Sie will sich für so etwas nicht hergeben. Doch die Hochzeit scheint die einzige Lösung zu sein und es wäre das was ihr Vater gewollt hätte, denkt Giulia. Dann kommt aber doch alles anders. Sie entdeckt ihre Leidenschaft für über den Tellerrand hinaus zu denken und rettet ihre Firma gegen jede konventionellen Trotz, indem sie neue Wege bestreitet und internationale Beziehungen zu pflegen beginnt.
Und da wäre noch Sarah aus Montreal: Sie steht jeden Morgen um 5Uhr auf. Sie hat keine Zeit um länger zu schlafen, jede Sekunde zählt. Ihre Tage sind mit der Stoppuhr abgemessen, milimeter genau eingeteilt wie die Mathehefte ihrer Kinder. Sie kennt ehrgeizige Männer, die Frauen hassen weil sie sich von ihnen bedroht fühlen. Man bewundert Sarah ebenso sehr wie man sie fürchtet. Mit knapp 40 Jahren giltet sie bei den Juristen ihrer Generation als das Ideal einer erfolgreichen Anwältin. Und dann erhält sie die Diagnose Brustkrebs. Sarah hört zwar was der Arzt sagt, sie beobachtet wie seine Lippen sich beim Sprechen bewegen aber seine Worte dringen nicht zu ihr durch, als wäre sie in eine dicke Schicht Watte gehüllt, als beträfe sie das alles im Grunde nicht. Sie nimmt die Worte des Arztes auf, als glaube sie nicht daran oder als wäre die Rede von einer Freundin. Währe d der Taxifahrt zur Kanzlei macht sie kurze Bestandsaufnahme der Situation. Sie ist eine Kämpferin. Sie wird in die Offensive gehen. Ihre Mutter ist schon vor 20Jahren am gleichen verstorben. Das möchte sie ihrer Familie nicht nochmal zumuten und sagt es darum niemanden. Und dann kommt alles raus. Inès verrät sie, hinterlistig, wirft ihr kleine Fehler vor. Inès will Sarah’s Platz. Die Therapie beginnt. Entgegen ärztlicher Empfehlungen nimmt sich Sarah an diesen Tagen nicht frei. Abwesend zu sein bedeutet Platz zu machen. In einer Gesellschaft, die Jugendlichkeit und Leistungsfähigkeit preist, haben Kranke und Schwache keinen Platz. Ihr grösster Gegner in der Anwaltskanzlei steigt auf. Den Job den Sarah bekommen hätte, wäre sie nicht krank geworden. Langsam wird sie rausgemobbt. Man nimmt ihr Mandanten ab. Sie denkt an die Frau, die sie gewesen ist, die sie gestern noch war, eine starke, entschlossene Frau, die ihren Platz in der Welt hatte - und plötzlich von der Welt im Stich gelassen wird. Nichts fängt sie in diesem Moment auf. Es ist der Beginn ihres Abstiegs und gleichzeit ihres Aufstiegs jnd neuanfang! Sie verteilt ihre Prioritäten neu, schöpft neue Lebensqualitäten.
Ich konnte mich in alle drei Figuren hineinversetzen. Habe mit ihnen gelitten und innerlich gekämpft und gehofft. Ein Buch das aufzeigt, dass es nicht immer schlecht ist aus dem Trott heraushubrechen, der einem manchmal wie auferlegt wird von der Kultur, der Familie oder der Gesellschaft.