Luke Roy steht hoch oben auf der Brücke, bereit zu springen. Bis er sich umentscheidet und dann nach einigen Minuten doch springt – jedoch nicht, um sich umzubringen, sondern, um jemand anderen zu retten. Plötzlich steht er im Rampenlicht der gesamten Stadt und muss sich mit der neu gewonnenen Aufmerksamkeit herumschlagen, die er nie wollte.
Sobald man zu lesen beginnt, wird man von dieser düsteren Atmosphäre gefangen genommen. Ich habe selten Sätze in Romanen gelesen, die so präzise gewählt scheinen und so auf einen einwirken, als würde man einen geschützten Raum betreten, in dem diese melancholische Stimmung eisern und bestimmt herrscht.
Nach ein paar Seiten erwartete ich jedoch, dass sich in dieser Atmosphäre ein Weg abzeichnet, sich eine Handlung daraus entwickelt. Ich wartete zwar nicht vergeblich, aber lange.
Ich verstehe vollkommen, was der Autor mit dem bedachten Heranführen an den Protagonisten erreichen wollte: Wir sollten in seinen Kopf eintauchen und seine Gründe verstehen. Suizidgedanken und Nahtoderfahrungen sind kein leichtes Thema. Und vor allem bei Luke sind diese Gedanken sehr präsent und finster.
Aber ich habe noch immer einen Roman und keinen Lyrikband vor mir. Ich wollte, dass endlich etwas ausserhalb seines Kopfes passiert.
Irgendwann nimmt die Geschichte dann Fahrt auf, als Luke vom Stadtrat, der Presse und alten Freunden bedrängt wird. Sein Leben gerät aus den Fugen und er scheint die Kontrolle darüber zu verlieren. An den Medien wird hier die grösste Kritik geäussert: Sie drängen sich in Lukes Leben und ab diesem Moment wird sein Leben eigentlich fremdbestimmt.
Aber so richtig packen konnte mich dieses innere Zerwürfnis nie. Dafür war ich – trotz dessen, dass ich Lukes intime Gedanken zu Beginn lesen durfte – zu weit vom Protagonisten entfernt. Ich konnte weder ihn noch die anderen Charaktere richtig einschätzen. (Die meisten Nebencharaktere konnte ich ehrlich gesagt nicht einmal voneinander unterscheiden, weil sie irgendwie so inhaltsleer wirkten.) Und eigentlich ist das etwas Gutes, weil es Spannung erzeugt, wenn ich als Leserin nicht sicher bin, welchen Schritt Luke als nächstes tätigt. Aber in dieser Geschichte ist alles von einem einheitlichen grauen Filter überdeckt, sodass jeder Schritt einfach verklingt. Auch graue Filter werden mal dreckiger und sauberer oder müssen ab und zu ausgewechselt werden; es brauchte etwas Abwechslung.
Ich hätte diese poetische Erzählart akzeptiert, wenn sie sich durch das gesamte Buch gezogen hätte, ich hätte sogar nichts als Positives darüber zu sagen gehabt. Aber ab der Mitte ist es, als hätte der Autor sein unfertiges Manuskript einfach weitergegeben: Die Charaktere zerfallen förmlich, die Handlung entwickelt sich in eine wirklich merkwürdige, abstrakte Richtung und der Schreibstil – dieser wunderschöne, atmosphärische und eindrückliche Schreibstil verschwindet. Einfach so.
Gegen Ende war von Spannung oder zumindest der zu Beginn kreierten Stimmung nichts mehr zu spüren. Die Message passt meiner Meinung nach nicht mit der eigentlichen Geschichte zusammen und ich verstehe nicht ganz, was ich aus diesem Buch genau mitnehmen soll, obwohl ich die Kritik an den Medien sehr wichtig in der heutigen Zeit finde.
Ein wirklich wunderschöner, ergreifender Anfang, der sich weder gut durchsetzen noch im Verlauf der Geschichte weiterentwickeln konnte.
Fazit
Der Anfang nimmt einen mit seiner melancholischen Stimmung und dem wunderschönen Schreibstil gefangen. Jedoch schreitet die Handlung nur langsam voran und schlägt eine sehr abstrakte Richtung, der ich nicht immer folgen konnte. Die Spannung zerfällt mir jeder Seite und auch die Charaktere konnte mich leider nicht begeistern. Ein vielversprechender und einzigartiger Anfang, mit dem der Rest der Geschichte leider nicht mithalten konnte.