Mit diesem erzählenden Sachbuch ist Florian Illies das Meisterstück gelungen, Geschichte lebendig zu machen. Oder – wie er selbst auf einer Lesung sagte – aus den Schwarzweißbildern der damaligen Zeit einen Farbfilm zu machen. Das geht nur über Emotionen und daher hat er die vielleicht zunächst etwas seltsam anmutende Brücke geschlagen zwischen Liebe und Beziehungen mit der Zeit des NS-Regimes - „Liebe in Zeiten des Hasses“ eben.
Am Anfang war es für mich erst schwierig, zwischen den vielen Protagonisten hin und her zu springen, denn das Buch widmet sich nicht den einzelnen Personen nacheinander, sondern es gibt mal kürzere, mal längere Abschnitte zu unterschiedlichen Protagonisten. Man springt in dieser Collage an Geschichten hin und her. Alles schein miteinander verwoben. Dabei war, so Florian Illies, die Auswahl der Protagonisten darin begründet, wie viele Quellen aus der Zeit es von den einzelnen Personen gab, wie viele Fakten verfügbar waren. Denn auch wenn es um Emotionen geht, so war die historische Richtigkeit doch ein wichtiger Aspekt. In Briefen, Tagebucheinträgen, Telegrammen wie bei Marlene Dietrich oder auch Biographien, Bildern und Romanen wird deutlich, wie die Realität in die Welt der berühmten und weniger berühmten Figuren einbricht, alles auf den Kopf stellt und Sicherheiten mit einem Fingerschnippen zerstört – erschreckend aktuell, denn ich habe das Buch während der Zeit des russischen Angriffs auf die Ukraine gelesen. Noch dazu, weil das Buch in der Gegenwart geschrieben ist und so die Leserin und den Leser direkt in die Geschichte hineinzieht und auch die handelnden Figuren nicht wussten, wie es weitergeht und wohin das Blatt sich wendet.
Spannend ist auch der Blick auf die Frauen Ende der 1920er Jahre. Sie brechen aus den Konventionen von Heirat, Kinderkriegen und Ehegattinnen-Alltag aus. Der Bubikopf wird zum Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins der Frauen. Sie verdienen eigenes Geld, veröffentlichen Romane, sind als Künstlerinnen aktiv und wählen ihre Sexualpartner aus.
Die Puzzleteile des Buches geben nach und nach den Blick frei auf den Niedergang einer Epoche, den Wandel von Liebe, Freiheit, Freizügigkeit, Reichtum und uneingeschränkter Toleranz hin zu Hass, Flucht, Angst, Armut, Verzweiflung und Tod. Ein beeindruckender und berührender Blick auf Weltgeschichte und auch die deutliche Aufforderung, sich mit der Vergangenheit und gerade den schmerzlichen Punkten zu beschäftigen, denn ohne den Blick zurück wird kein vorangehen möglich sein.