Mit Stefan Zweig hab ich normalerweise ein ähnliches Problem wie mit Thomas Mann oder Thomas Bernhard. Endlos lange, gedrechselte Sätze, Abschnitte, die über mehrere Seiten gehen, die Autoren stellen auf anstrengende Weise ihr Talent als Wortschwurbler unter Beweis, was mich immer ein wenig davon abhält, die Klassiker der oben erwähnten Schriftsteller in die Hand zu nehmen. Aber bei der “Schachnovelle” war ich angenehm überrascht, wie süffig und ergreifend dieses dünne Büchlein verfasst worden ist. Auf einem Schiff Richtung Buenos Aires trifft der Erzähler auf Mirko Czentovic, DEN Schachmeister dieser Zeit, ungeschlagen, unerbittlich, ein ungehobelter Klotz von Mann, aber ein genialer Schachspieler. Wir erfahren im Lauf der Erzählung, wie es dazu kam, dass Czentovic entdeckt wurde. Dies allein wäre schon Stoff für eine neues Buch. Auch auf dem Schiff befindet sich Dr. B, ein unscheinbarer Mann, der vor den Erinnerungen und den Schrecken, die er unter den Nazis erlebt hat, auf der Flucht ist, wurde er doch in Einzelhaft gehalten, gefoltert und misshandelt. Das einzige, was ihn an Leben erhielt, war ein Buch über Schach mit berühmten Partien, die Dr. B mit der Zeit auswendig abrufen kann. So wird er zum Schachgenie, der gar kein Schachbrett und Figuren braucht, um eine Partie zu spielen. Als die Anwesenden ihn auffordern, gegen Czentovic zu spielen, zögert er zuerst, lasst sich dann aber breitschlagen. Es folgt die fürchterliche Demontage des amtierenden Meisters, mit Leichtigkeit gewinnt B, als wäre es nix. Als es zu einer Revanche kommt, kommt es zur Katastrophe. Dr. B bekommt einen Nervenzusammenbruch, weil alles, was er in Haft erlebt hat, wieder ungut hochkommt. Die Revnache wird abgebrochen. Ein intensives Buch, das auf wenigen Seiten seine volle Wucht enfaltet. Die Leserin fühlt mit Dr. B mit, als der in der Zelle einsam eine Partie Schach nach der anderen spielt, um nicht verrückt zu werden. Ich habe selten ein Buch gelesen, das intensiver war. Man merkt, dass jedes Wort sorgfältig gesetzt ist, um die volle Kraft, die von dieser Geschichte ausgeht, zu entfalten.