Also, wo das Diogenes-Lektorat hier einen “Blockbuster in Buchformat” gelesen haben will, ist mir wirklich schleierhaft. Ganz im Gegenteil zu der rasanten Ankündigung empfand ich die Erzählung als relativ gemächlich und angenehm ins Innere der wechselnden Protagonisten gerichet. Und damit meine ich nicht die hervorquellenden Innereien Gesslers, die am Schluss dann schon noch herumspritzen.
Die Story an sich dürfte hinlänglich bekannt sein. Im Gegensatz zur schulischen Pflichtlektüre Schillers, habe ich die Neuerzählung von Joachim B. Schmidt mit Genuss und vor allem, in einem Schwung, durchgelesen. Doch was ist das für ein Wilhelm Tell? Von allen auftretenden Figuren bleibt er der geheimnisvollste, und sowohl für Leser als auch seine eigene Familie, unnahbarste. Keine der ständig wechselnden Episoden ist aus seiner eigenen Perspektive verfasst, und so bleibt er einem bis zum Schluss ein wenig fremd und unsympathisch. Dass der Schweizer Nationalheld Nummer eins nicht in aller Glorie und überlebensgross dargestellt wird, hat mir gefallen.
Der restliche Cast liest sich facettenreich, gewitzt und abgründig. Schon seltsam, wenn einem der - zugegebenermassen etwas weicheiig daher kommende - Gessler, plötzlich mehr Mitleid abringt als manch andere Figur. Auf jeden Fall äusserst lesenswert für alle, die sich - wie ich - bis dato herzlich wenig mit Schweizer Geschichte und deren Mythen auseinandergesetzt haben und ein totaler Reinfall für alle, die gerne eine kernige Geschichte über die ach so überlegenen Eidgenossen im Kampf gegen die Superschurken aus dem Hause Habsburg lesen wollen.