Der Einstieg in die Geschichte passiert über Zeitungsartikel, welche die Verurteilung eines renommierten Professors (Norton Perina) und Nobelpreisträgers aufgrund sexuellem Missbrauchs an Adoptivkindern verkünden. Anschliessend ordnet ein Freund dieses Professors ein, was er davon hält und was folgen wird: Nämlich die Lebensgeschichte von Perina, welcher er während seines Gefängnisaufenthalts aufschreibt und kapitelweise an seinen Freund schickt. Dieser ergänzt darin Fussnoten mit weiterführenden Erklärungen. Dann beginnt die eigentliche Geschichte.
Diese ist von Beginn an packend. Perina beginnt bei seiner Kindheit, erklärt sein spezielles Verhältnis zu den Eltern und zu seinem Bruder, sein Heranwachsen und der Start seiner wissenschaftlichen Karriere. Als Forscher reist er auf eine Insel, auf der ein Urvolk völlig abgeschottet von der restlichen Zivilisation lebt. Die Beschreibungen sind am Anfang bunt, eine völlig neue Welt wird heraufbeschworen mit spannenden Pflanzen, eindrücklichen Tieren und der Alltag eines primitiv, aber glücklich wirkenden Volkes wird beschrieben. Perina - obwohl teilweise sehr speziell - wächst einem als Leser:in immer weiter ans Herz, obwohl man von der Einleitung weiss, dass er Schlimmes getan hat. Doch er schafft es mit der Beschreibung seiner Perspektive immer wieder, seine Handlungen nachvollziehbar zu machen, obwohl sie schrecklich sind. Denn schliesslich nimmt er Menschen des Urvolkes als Versuchspersonen in sein Labor, lässt sie jahrelang in einem kerkerähnlichen Raum vor sich hin rotten und kümmert sich äusserst wenig um sie. Zudem ist er emotional komplett unstabil und adoptiert zahlreiche Kinder aus dem Urvolk, deren Insel nach seiner Entdeckung von möglicherweise ewigem Leben komplett zerstört worden ist, um diese Leere in sich auszufüllen.
Anders als bei “Ein wenig Leben” derselben Autorin dachte ich eigentlich, ich wüsste, auf was ich mich einlasse und die Abgründe der Menschheit seien weniger krass dargestellt. Doch mit dem Abschlusskapitel, in welchem der zuvor zensierte Ausschnitt aus Perinas Memoiren wiedergegeben wird, wird die im Buch langsam aufgebaute Beziehung und der Eindruck von Perina komplett zerstört.
Einmal mehr eine unglaubliche Leistung von Hanya Yanagihara! Sie schafft es, einen exzentrischen Wissenschaftler ohne moralischen Kompass zuerst nahbar und sympathisch zu machen - um dies dann am Ende in aller Heftigkeit zu zerstören. Ein fesselndes Buch, aber nichts für schwache Nerven, obwohl es kein Thriller ist und lange Beschriebe von Landschaften, Völkern oder des wissenschaftlichen Prozesses enthält. Insgesamt ist es trotzdem heftig.